Der Standard

Kunst als Weckruf für Gesellscha­ft und Politik

Künstler, die in den 1960er-Jahren den Kunstbegri­ff erweiterte­n, interessie­rten Sammler Wolfgang Hahn. Heute gehört seine Kollektion zum Bestand des Mumok. Einblicke gibt die Schau „Kunst ins Leben!“.

- Christa Benzer

Wien – Eine zentrale Arbeit der Ausstellun­g Kunst ins Leben! geht auf ein Abendessen im Hause Hahn am 23. Mai 1964 zurück. Die Gäste, namhafte Persönlich­keiten des Kulturlebe­ns in Köln und Düsseldorf, waren angehalten worden, ihr Geschirr selbst mitzubring­en. Es sollte eines von Daniel Spoerris berühmten „Fallenbild­ern“entstehen: Zum Abschluss des Mahls befestigte der Künstler und „Regisseur“jenes Abends Essensrest­e, Flaschen, Geschirr, aber auch Zigaretten­schachteln auf der Tischplatt­e.

Heute erzählen Aktionen wie diese von der Zusammenfü­hrung von Kunst und Leben, aber auch von der Neugier eines Sammlers, der sein Haus für Experiment­e öffnete. Als Chefrestau­rator am Wallraf-Richartz-Museum ging es Wolfgang Hahn offenbar nicht nur um den Erhalt von Werken, sondern auch um die Weiterentw­icklung der zeitgenöss­ischen Kunst. Neben Fluxus und Konzeptkun­st sammelte er Pop-Art, Nouveau Réalisme sowie Film- und Fotodokume­ntationen von Performanc­es, deren Bedeutung ihm schon früh bewusst war. Und dies nicht nur im Hinblick auf die Kunstgesch­ichte, wiewohl auch Kunsthisto­riker etwa durch die Lettres Ouverts von Marcel Broodthaer­s an Joseph Beuys spannende Einblicke erhalten: „Unsere Beziehung ist schwierig geworden“, ließ Broodthaer­s den Künstlerko­llegen wissen. Er selbst übernahm in den Briefen die Rolle des Operettenk­omponisten Jacques Offenbach, während er Beuys mit Richard Wagner verglich und ihn dieserart sehr elegant als Realpoliti­ker kritisiert­e.

In der Sammlung sind beide Künstler vertreten: Broodthaer­s mit Sätzen wie Idée pour un mot (Idee für ein Wort), die die Konzeptkun­st kritisiert­en; Beuys mit einer angekohlte­n Tür, die er Hahn für seine erste Ausstellun­g im Jahr 1968 überließ. Darauf montiert sind Hasenohren sowie ein Reiherschä­del als schamanisc­he Symbole.

Zehn Jahre später wurde die – bis dahin um bedeutende Werke von John Cage, Allan Kaprow, Claes Oldenburg, Yoko Ono, Nam June Paik, Lil Picard, Dieter Roth und anderen erweiterte – Sammlung von der Republik Österreich angekauft. 385 Werke umfasste das damalige Konvolut, das man 2003 durch den Ankauf der schon bestehende­n Leihgaben von Hildegard Helga Hahn sowie durch die Hinzunahme von Hahns Bibliothek und Archiv komplettie­rte.

Der Schwerpunk­t der MumokSamml­ung verlagerte sich durch die Sammlung Hahn auf die medien- und gesellscha­ftskritisc­he Kunst der 1960er- und 1970er-Jah- re, was in der Ankaufspol­itik und der Ausstellun­gstätigkei­t des Museums nach wie vor sichtbar ist.

Da sich Wolfgang Hahn nicht auf eine bestimmte Kunstricht­ung festlegen ließ, bot die Sammlung auch viele Anknüpfung­spunkte. Susanne Neuburger, Kuratorin der Ausstellun­g, hat dieser Offenheit gemeinsam mit den Künstlerin­nen Eva Chytilek und Jakob Neulinger nun auch im Ausstellun­gsdisplay Rechnung getragen: Platziert wurden die Werke in einem Trägersyst­em, in dem sich sowohl Materialie­nschwerpun­kte als auch thematisch­e Verbindung­en zeigen: Neben Organische­m wie einer Scheibe Bockwurst (Dieter Roth) wurde etwa auch aus Gebrauchso­bjekten wie Ölkanister­n (César), einer Brotschnei­demaschine (Niki de Saint Phalle) oder einem Klavier (Nam June Paik) ein Kunstwerk gemacht.

„Sex Can Give You Cancer“

Zudem erzählt die Ausstellun­g von der damals sehr produktive­n Annäherung der bildenden Kunst an Diszipline­n wie Tanz, Literatur oder Film: Zu sehen ist die Fluxfilm Anthology (1962–1970) von Jonas Mekas oder auch eine Arbeit von Mimmo Rotella, der mit einem Still aus Godards A bout de souffle auf das Bild im Kinoraum referiert. Unbedingt sehenswert ist auch die Arbeit Green Seesaw (1968–69) von Öyvind Fahlström, die einem Storyboard gleicht: Mittels einer instabilen Wippe thematisie­rte der Künstler den Kalten Krieg, aber auch die gesellscha­ftliche Prüderie jener Jahre, die sich in den 1960er-Jahren noch in Sätzen wie „Sex Can Give You Cancer“äußerte. Bis 24. Juni 2018 pwww. mumok.at

 ??  ?? Plastisch gewordene Melancholi­e: George Segals „Woman in a Restaurant Booth“(1961).
Plastisch gewordene Melancholi­e: George Segals „Woman in a Restaurant Booth“(1961).

Newspapers in German

Newspapers from Austria