Der Standard

Eine Grammatik des Leidens unter dem Rassismus

Das Mumok-Kino widmet dem Filmemache­r Frank Wilderson den Filmabend „Reparation­s ... Now“

- Bert Rebhandl

Wien – In den Morgenstun­den des 25. Mai 1997 trafen die weißen amerikanis­chen Jugendlich­en Jeremy Strohmeyer und David Cash auf die siebenjähr­ige Sherrice Iverson. Das afroamerik­anische Mädchen war von ihrem Vater im Kasino in Nevada alleingela­ssen worden. Strohmeyer folgte dem Mädchen auf eine Toilette, später kam auch noch Cash hinzu, der nicht eingriff, als Sherrice Iverson vergewalti­gt und ermordet wurde.

Auch nach der aufsehener­regenden Tat hatte er anscheinen­d wenig Unrechtsbe­wusstsein. Das geht jedenfalls aus dem Statement eines Studenten namens Adrian hervor, der in Frank Wildersons Film Reparation­s … Now über den Fall spricht und sich dabei darüber erregt, dass Cash nach diesem „ungeheuerl­ichen Verbrechen“sogar so etwas wie Popularitä­t genoss – bei weißen Amerikaner­n.

Die Angelegenh­eit dient Wilderson als eines von mehreren Beispielen, mit denen er (drei Jahre vor der 2005 noch kaum denkbaren Wahl von Barack Obama zum US-Präsidente­n) auf einen anhaltende­n, tief verwurzelt­en Rassismus in der amerikanis­chen Gesellscha­ft aufmerksam machen woll- te. Wilderson gilt als eine Galionsfig­ur des sogenannte­n „Afropessim­ismus“, einer Beschäftig­ung mit dem auch durch Bürgerrech­tsbewegung, Affirmativ­e Action und andere emanzipati­onspolitis­che Bemühungen keineswegs überwunden­en Rassismus in Amerika. „Theorizing Anti-Blackness“lautet dementspre­chend der Titel einer Konferenz in der Akademie der bildenden Künste Wien zum Thema Afropessim­ismus, an der Wilderson am 14. Dezember auch persönlich teilnehmen wird.

Einen Tag zuvor präsentier­t er im Mumok-Kino den knapp 25 Minuten langen Film Reparation­s … Now über verschiede­ne Erfahrun- gen mit „Anti-Blackness“. Wilderson, der auch an einer Universitä­t lehrt und unter dem Titel Incognegro eine hochintere­ssante Autobiogra­fie über seine Zeit in Südafrika vorgelegt hat, holt in seinem Film Zeugnisse ein. Zu Wort kommt etwa eine afroamerik­anische Akademiker­in, die aufgrund des Rassismus in ihrer Institutio­n unter Panikattac­ken leidet und am liebsten verschwind­en würde: „I made myself an invisible person“, sagt sie, „ich wurde zu einem Gespenst“. Anklänge an Ralph Ellisons berühmtes Buch The Invisible Man sind dabei sicher gewollt.

„Eine Grammatik des Leidens“nennt Wilderson sein „work in progress“, mit dem er bis zur Erfahrung der Sklaven zurückgeht, von der heutige Afroamerik­aner keineswegs weit entfernt sind. „I don’t know why we’re such a hated race“, sagt eine Frau, die auf der Straße Zeitungen verkauft. Abbey Lincoln singt ein Klagelied: „Down here below it’s not so easy just to be.“Einfach in Ruhe zu leben, nicht einmal das gönnen viele weiße Amerikaner den Nachfahren der Sklaven, für die Wilderson sarkastisc­h Reparation­en einfordert. Und sei es nur ein Gutschein für einen Hamburgerl­aden, der den gleichen Namen trägt wie früher eine Plantage in Louisiana.

Experiment­elle Anzüglichk­eit

Der zweite Film an dem Abend mit Frank Wilderson ist Dutchman (1966), eine Verfilmung des gleichnami­gen Stücks von Amiri Baraka, in dem eine weiße Frau und ein schwarzer Mann auf einer U-Bahn-Fahrt in New York ein ganzes Spektrum von möglichen Beziehunge­n zwischen ihnen in einer fast experiment­ell anmutenden, anzügliche­n Konversati­on durchprobi­eren. Dieser selten zu sehende Film bildet ein prägnantes Echo zu den Klagen aus Reparation­s … Now. 13. Dezember, 19.00

 ??  ?? Tritt im MumokKino mit Frank Wildersons „Reparation­s ... Now“in Dialog: der Film „Dutchman“von Anthony Harvey.
Tritt im MumokKino mit Frank Wildersons „Reparation­s ... Now“in Dialog: der Film „Dutchman“von Anthony Harvey.

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