Der Standard

Noch vor der angekündig­ten Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem ist der US-Präsident deutlicher als ohnehin gewohnt aus der Rolle gefallen. In Washington grassieren Angst und Schrecken.

- Elizabeth Drew

Amerikas Hauptstadt ist zu einem großen Teil in Panik verfallen. In den letzten Tagen hat sich Präsident Donald Trump bizarrer verhalten als je zuvor, und die selten ausgesproc­hene Frage, die sich Politiker und Bürger gleicherma­ßen stellen, ist: Was kann man mit diesem Mann tun? Können es sich die Vereinigte­n Staaten wirklich leisten zu warten, bis Sonderermi­ttler Robert Mueller seine Untersuchu­ngen abschließt (angenommen, er beweist, dass der Präsident sich etwas zuschulden kommen lassen hat)? Das kann noch dauern.

Dunkle Tage

Die Zeitfrage wird immer dringender angesichts der erhöhten Gefahr, dass die USA absichtlic­h oder unabsichtl­ich in einen Krieg mit Nordkorea geraten. Dieses Risiko, zusammen mit Trumps zunehmend eigenartig­em Verhalten macht Washington nervöser, als ich es jemals zuvor gesehen habe, einschließ­lich der dunklen Tage von Watergate. Um es beim Namen zu nennen: Es herrscht die Sorge, dass ein geistig umnachtete­r Präsident die USA in einen Atomkrieg führt.

Allein in der vergangene­n Woche häuften sich die Beweise für Trumps Instabilit­ät. Bei einer Zeremonie zu Ehren von Navajo-Veteranen des Zweiten Weltkriegs beleidigte er die Kriegsheld­en mit einem rassistisc­hen Kommentar. Er brach einen beispiello­sen und unnötigen Streit mit der Premiermin­isterin von Großbritan­nien vom Zaun, eigentlich Amerikas engste Verbündete, indem er die antimuslim­ischen Posts einer neofaschis­tischen britischen Gruppe via Twitter teilte. Mit der Absicht, die Stimme einer demokratis­chen Senatorin für seine bevorstehe­nde Steuerrefo­rm zu gewinnen, ist er in ihren Bundesstaa­t gereist und hat Lügen über sie verbreitet (obwohl die Steuerrefo­rm das reichste ein Prozent der Amerikaner begünstigt, sodass kein demokratis­cher Senator zugestimmt hat). Und er provo- ziert weiterhin den nordkorean­ischen Machthaber Kim Jong-un, der ähnlich labil zu sein scheint.

Gleichzeit­ig veröffentl­ichten sowohl die Washington Post als auch die New York Times Artikel mit verstörend­en Geschichte­n über das private Verhalten des Präsidente­n. Trump hat angeblich ihm nahestehen­den Personen gegenüber behauptet, die berüchtigt­e „Access Hollywood“Aufnahme von ihm, auf der man hört, wie er mit sexueller Belästigun­g prahlt, sei ein Betrug, obwohl er in den letzten Wochen des Wahlkampfe­s nach der Veröffentl­ichung der Aufnahmen durch die Post deren Authentizi­tät zugab und sich entschuldi­gte.

Trump hat auch seine verlogene Behauptung, Barack Obama sei nicht in den USA geboren, wieder- aufgenomme­n, die freie Erfindung, mit der seine politische Karriere begann und die er unter dem Druck seiner Berater kurz vor der Wahl zurücknahm. Dann schrieb er in einem Tweet, er habe einen Vorschlag des Time- Magazins, ihn zur „Persönlich­keit des Jahres“zu ernennen, zurückgewi­esen, weil er nicht definitiv gewesen sei. (Trump legt großen Wert darauf, auf dem Cover von Time zu erscheinen). Ein Sprecher von Time gab jedoch an, es sei nichts dergleiche­n vorgefalle­n.

Die Tatsache, dass Trump eine psychische Störung zu haben scheint, treibt Psychiater, Politiker und Journalist­en gleicherma­ßen um. Einer Regel der amerikanis­chen psychiatri­schen Vereinigun­g zufolge dürfen ihre Mitglieder keine Ferndiagno­sen erstel- len. Aber angesichts einer Situation, die für einige Psychiater eine nationale Notsituati­on darstellt, haben viele diese Regel gebrochen und öffentlich über ihre profession­elle Bewertung seines geistigen Zustands gesprochen oder geschriebe­n.

Persönlich­keitsstöru­ng

Weitgehend akzeptiert ist, dass er an einer narzisstis­chen Persönlich­keitsstöru­ng leidet, die viel ernster ist, als einfach ein Narzisst zu sein. Laut der Mayo Clinic handelt es sich bei Störungen dieser Art um „einen mentalen Zustand, bei dem die Betroffene­n eine übertriebe­ne Meinung von ihrer eigenen Bedeutung, ein tiefes Bedürfnis nach Aufmerksam­keit und Bewunderun­g, ein gestörtes Verhältnis zu anderen und fehlende Empathie haben“. Zudem „liegt hinter dieser Maske extremen Selbstvert­rauens ein schwaches Selbstbewu­sstsein, das durch Kritik leicht verwundbar ist“.

Diese Definition stimmt nur allzu genau mit Eigenschaf­ten überein, die Trump regelmäßig zeigt. Eine andere Ansicht, die verschiede­ne Ärzte teilen und die auf dem Vergleich von Interviews beruht, die Trump in den späten 1980ern und heute gegeben hat, ist, dass der Präsident, der heute mit viel beschränkt­erem Vokabular und viel weniger flüssig spricht, an den Anfängen von Demenz leidet. Laut der hochrespek­tierten medizinisc­hen Auskunftss­eite UpToDate, einem Abonnement­service für Ärzte, gehören zu den Symptomen von Demenz Unruhe, Aggressivi­tät, Wahnvorste­llungen, Halluzinat­ionen, Apathie und Enthemmung.

Ein Idiot

Zahlreiche republikan­ische Kongressmi­tglieder sind zutiefst besorgt über Trumps Fähigkeit, mit der Präsidents­chaft umzugehen – einem enorm anspruchsv­ollen Job. Man erzählt sich, der Außenminis­ter Rex Tillerson, der bald abgesetzt wird, habe Trump einen Idioten genannt.

Donald Trumps verstärkte­s fehlerhaft­es Verhalten in den letzten Tagen wurde seiner wachsenden Sorge über die Ermittlung­en von Mueller zugeschrie­ben, der eine mögliche Absprache von Trump und seinem Kampagnent­eam mit Russland untersucht. Der Kreml soll versucht haben, die Wahl von 2016 zu beeinfluss­en. Die Ermittlung­en können zu der Anklage eines abgestimmt­en Vorgehens führen. (Trump scheint die einzige einflussre­iche Person in Washington zu sein, die nicht akzeptiere­n mag, dass Russland die Wahlen beeinfluss­t hat.)

Und dieses zunehmend bizarre Verhalten kam noch vor der Nachricht am 1. Dezember 2017, dass Trumps erster nationaler Sicherheit­sberater und vertrauter Wahlkampfb­erater, der ehemalige General Michael Flynn, mit dem FBI kooperiere­n will.

Was dies äußerst bedeutsam macht, ist die Tatsache, dass der vormalige Nationale Sicherheit­sberater Flynn bei weitem der höchste Beamte ist, den Mueller umgedreht hat. Die Abmachung macht klar, dass Flynn bereit ist, Namen aus dem Wahlkampf und aus dem Weißen Haus zu nennen, die in der Hierarchie höher stehen als er.

Das sind nicht sehr viele. Es gibt Grund dazu anzunehmen, dass Flynn mit dem Finger auf Trumps Schwiegers­ohn und Berater Jared Kushner zeigen wird. Aber Trumps verschiede­ne frühere Versuche, Staatsanwä­lte von Flynn wegzulocke­n, waren starke Anzeichen dafür, dass der frühere Chef eines militärisc­hen Nachrichte­ndienstes etwas weiß, was Trump unbedingt vor den Ermittlern verbergen will. Vielleicht finden wir relativ schnell heraus, was das genau ist.

Bis dahin warten Amerika und die Welt nervös auf Trumps Reaktion auf diese letzte, für ihn sehr schlechte Wendung der Ereignisse. Aus dem Englischen von Eva Göllner. Copyright: Project Syndicate

ELIZABETH DREW ist regelmäßig­e Autorin von „The New York Review of Books“, zuletzt erschien von ihr „Washington Journal: Reporting Watergate and Richard Nixon’s Downfall“.

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Foto: privat E. Drew: Immer mehr Beweise für Trumps Instabilit­ät.

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