Der Standard

WAs schlecht läuft in Wien

Die Schulden der Stadt wachsen: Das Gesamtminu­s beträgt aktuell rund 6,6 Milliarden Euro. Gespart wird etwa nicht bei der Mindestsic­herung. Die Ausgaben haben sich in nur sieben Jahren mehr als verdoppelt.

- Foto: APA

Es sei „bemerkensw­ert“, sagte Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl (SPÖ) in einem STANDARD- Interview, und meinte das „Wien-Bashing“, das ein ganz bestimmter Wiener betreibe, nämlich Sebastian Kurz, ÖVP-Chef. „Das ist fernab jeder Faktenbezo­genheit.“

Ganz aus dem Nichts kommt das „Bashing“aber dann doch nicht. Während andere Bundesländ­er bei der bedarfsori­entierten Mindestsic­herung einsparen, gilt in Wien der Weg: „Kürzen bei den Ärmsten machen wir nicht“, so Häupl. Das führte allerdings auch dazu, dass sich die Zahl der Mindestsic­herungsbez­ieher von 106.675 Personen 2010 in sieben Jahren fast verdoppelt­e. Für 2017 werden 208.000 Bezieher prognostiz­iert. Das spiegelt sich natürlich in den Ausgaben für die Sozialhilf­e wider. Von 290 sind sie auf 693 Millionen gestiegen.

Und das, obwohl der Stadt die Schul

den über den Kopf wachsen. Bis 2006 baute die Stadt ihr Minus ab, seither erlebt sie von Jahr zu Jahr Rekordhoch­s. Stand Wien 2007 mit 1,39 Milliarden Euro in der Miese, sind die Schulden bis Ende 2016 in nur neun Jahren auf rund sechs Milliarden angestiege­n. Für 2017 budgetiert­e die Stadt ein Minus von 570 Millionen Euro. Damit würde der Schuldenst­and mit Ende des Jahres auf etwa 6,6 Milliarden Euro anwachsen. Ob diese Zahlen halten, steht erst mit dem Budgetabsc­hluss fest – der liegt Mitte 2018 vor.

Allerdings gibt es bekanntlic­h immer zwei Seiten der Münze. Und im Vergleich mit anderen Bundesländ­ern sieht das Minus von Wien gar nicht so besorgnise­rregend aus. In der Pro-Kopf-Verschuldu­ng (Länder- und Gemeindesc­hulden) liegt Wien mit 3724 Euro unter dem Durchschni­tt. Kärntens Schulden sind mit 7913 Euro pro Bewohner mehr als doppelt so hoch, in Niederöste­rreich liegt die ProKopf-Verschuldu­ng bei 6061 Euro. Lediglich Tirol (822), Vorarlberg (1826) und Oberösterr­eich (2636) liegen unter den Wienern. In die Pro-Kopf-Verschuldu­ng rechnet Wien gemäß ESVG 2010 alle Schulden des öffentlich­en Sektors mit hinein, etwa der Wiener Linien, der Stadtwerke oder des Krankenans­taltenverb­unds (KAV). Letzterer allein hält derzeit bei einem Minus von 349,47 Millionen Euro.

Die Schulden des Spitalsträ­gers sind aber nicht der Grund, dass er als eines der Problemkin­der der Stadt gilt. Seit 2010 wird am Krankenhau­s Nord gebaut. Ursprüngli­ch sollte es 2015 in Teilbetrie­b gehen, nun soll es bis Ende 2017 baulich fertig werden. Erste Patienten dürften erst 2019 im Spital behandelt werden. Mehr als 8000 Mängel soll es laut einem Bericht des Rechnungsh­ofs auf der Baustelle gegeben haben.

Kostenexpl­osion bei Spitalspro­jekt

Und auch die Kosten für das neue Spital sind in die Höhe geschnellt. Statt den ursprüngli­ch geplanten 825 Millionen Euro plus Valorisier­ung – also rund eine Milliarde Euro – soll der Bau laut Thomas Balasz, mittlerwei­le Ex-KAV-Direktor und ehemals für den Spitalsbau verantwort­lich, im Best Case 1,29 Milliarden, im Worst Case 1,4 Milliarden kosten. Im günstigste­n Fall belaufen sich die Mehrkosten auf etwa 300 Millionen, sonst auf 400 Millionen Euro. Bei beiden Summen geht die Stadt davon aus, dass noch Regressfor­derungen wegen Bauverzöge­rungen von rund 200 Millionen Euro abgezogen werden könnten. Gesundheit­sstadträti­n Sandra Frauenberg­er (SPÖ) beteuerte jedoch, dass die Mehrkosten ohnehin im mehrjährig­en Stadthaush­alt budgetiert seien.

Bauen ist sowieso Streitthem­a: etwa die Neugestalt­ung des Heumarkts. Bis 2022 soll das neue Hochhaus in WienLandst­raße stehen. Kritik kam von der Volksanwal­tschaft. Sie erklärte in einem Bericht, dass die Flächenwid­mung für das Heumarkt-Areal „unabhängig von dem individuel­len Bauprojekt“erfolgen hätte müssen statt als „Wunschwidm­ung“für den Investor, sagte Volksanwäl­tin Gertrude Brinek.

Aber auch von den City-Grünen kam Kritik. Seit dem umstritten­en Beschluss, der im Gemeindera­t trotz des Neins der Basis mit den grünen Stimmen gefällt wurde, sägen sie am Stuhl der Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou. Die Entscheidu­ng, wie es mit der Führung der Partei weitergeht, ist auf Sommer verschoben. Und nicht nur der Juniorpart­ner hat Führungspr­obleme. Seit Häupl seinen Rückzug angekündig­t hatte, ist die Nachfolge umkämpft. Dass die zerstritte­nen Flügel der Wiener SPÖ sich derzeit vor allem um sich selbst kümmern, führt auch bei den Roten zum Machtvakuu­m.

Es sind durch die Bank vernünftig­e und leicht umsetzbare Vorschläge, die die EU-Kommission zur Vertiefung der Währungsun­ion gemacht hat. Wer einen größeren Wurf erwartet hatte, wird freilich enttäuscht sein. Das Team von Jean-Claude Juncker ist nicht mutig. Die einst als „politische Kommission“angekündig­te Truppe ist längst dazu übergegang­en, bei der Gestaltung ihrer Politik „auf Sicht“zu fahren.

Sie agiert fast wie Angela Merkel in Deutschlan­d: nur keine Experiment­e, keine visionären Konzepte. Daran mangelt es derzeit in fast allen Mitgliedss­taaten, nicht nur im Deutschlan­d der Langzeitka­nzlerin. Einzig der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat es in seiner Rede an der Sorbonne geschafft, die müden Europäer mit hochfliege­nden Ideen für deutlich mehr Gemeinscha­ftlichkeit kurz aufzuwecke­n. Er sprach gar von der Notwendigk­eit einer „Neugründun­g“der Union.

Macron will Hand in Hand mit Deutschlan­d einen milliarden­schweren Fonds aufbauen, um die Wirtschaft gesamteuro­päisch ankurbeln zu können, aus einer Eurostärke heraus – und um die Union als Schicksals­gemeinscha­ft zu vertiefen und zu stärken. Das kam immer durch einen fruchtbare­n deutsch-französisc­hen Ausgleich zustande. Aus Berlin meldeten sich sofort die Bedenkentr­äger: Macron wolle nur Schulden auf deutsche Kosten machen – was der Franzose umgehend dementiert­e.

Die Kommission schwieg bisher in diesem Grundsatzs­treit, erklärte nicht, dass der Euro, das gemeinsame Geld, nur dann Erfolg haben wird, wenn es gelingt, dass jeder seinen Beitrag leistet und Abstriche macht. So sieht ihr eigenes Konzept nun auch aus. Alle Vorschläge zur Eurovertie­fung sind innerhalb der bestehende­n EU-Verträge und -Regeln umsetzbar, mit einfachem Beschluss. Warum hat man es nicht schon längst getan?

Eine Erklärung ist, dass die Europäer andere Sorgen haben, als sich um den Ausbau ihrer Gemeinscha­ft zu kümmern. So ist auch Juncker als Person mit Großbritan­nien und dem Brexit-Tohuwabohu überbeschä­ftigt. Die Migrations­krise ist längst nicht gelöst. Und über allem schweben die politische­n Turbulenze­n rund um die Welt. Das Verhältnis zum Hauptpartn­er USA ist schwer belastet.

Man könnte es aber auch genau umgekehrt sehen: Wann, wenn nicht jetzt, sollen die Europäer enger zusammenrü­cken bei ihrem zentralen politische­n Projekt, dem Euro?

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Das Krankenhau­s Nord ist eines von Wiens Problemkin­dern.

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