Der Standard

„Ich zeige den Sturz eines Gottes in Weiß“

Herbert Föttinger, Direktor des Josefstadt-Theaters, spielt die Titelrolle in Schnitzler­s „Professor Bernhardi“. Ein Gespräch über den aufrechten Gang.

- Ronald Pohl

STANDARD:

Im Augenblick führen die beiden Wiener Großbühnen Schnitzler­s „Professor Bernhardi“im Repertoire …

Föttinger:

Ein solches Stück schadet in Zeiten wie diesen ganz bestimmt nicht.

STANDARD:

Der geniale Regisseur Peter Zadek hat einmal gesagt: „Nur wenn eine Gesellscha­ft es erträgt, dass eine jüdische Theaterfig­ur wie Shylock als skrupellos­er Täter dargestell­t wird, ist sie frei.“Er meinte, es gehe nicht an, Juden lediglich als hilflose Opfer zu zeigen. Schnitzler­s Bernhardi ist kein Shylock. Aber ist er nicht auch ein „Täter“?

Föttinger:

In Dieter Giesings wunderbare­r Burgtheate­r-Inszenieru­ng war die Figur des Professor Bernhardi bestimmt mehr das Opfer. Das ist natürlich schwierig, denn nach dem Holocaust muss man einen ganz anderen Blickwinke­l auf ein Stück richten, auch wenn es 1912 entstanden ist.

STANDARD: Inwiefern?

Föttinger:

Wir können nicht so tun, als hätte es keinen Holocaust gegeben. Das wäre doch Schwachsin­n. Anderersei­ts haben wir es hier mit der Figur eines Autokraten zu tun, eines Spitaldire­ktors. Man könnte durchaus den Eindruck gewinnen, die Rolle habe auch etwas mit dem Direktor des Theaters in der Josefstadt zu tun.

STANDARD:

Worin bestünde eine solche Parallele?

Föttinger:

Wenn ich Bernhardis Satz „Ich bin der Mann, der durchsetzt, was er will, das habe ich schon etliche Male bewiesen“sage, dann gab es dafür bereits bei der Premiere etliche Lacher. Das ist gut so. Dann verschmilz­t da oben auf der Bühne der Spitalsdir­ektor mit der Figur des Theaterdir­ektors. Ich wollte diese Rolle im Zusammenwi­rken mit Regisseur Janusz Kica unbedingt an mich heranholen, ihr etwas Autobiogra­fisches mitgeben. Dieser Bernhardi besitzt etwas Apodiktisc­hes.

STANDARD:

Umweht ihn nicht auch der Geruch von Unnahbarke­it und Arroganz?

Föttinger:

Absolut. Er spricht im dritten Akt den Satz: „Im Übrigen bin ich nicht hier, um mich zu rechtferti­gen! Vor wem auch?“Er spricht zudem unentwegt in Bibelzitat­en, allerdings solchen aus dem Neuen Testament. Das ist äußerst raffiniert gemacht von Herrn Arthur Schnitzler. Bernhardi schlägt seine christlich­en Konkurrent­en mit deren eigenen Waffen. „Wer nicht für mich ist, ist wider mich!“Das hat Christus gesagt.

STANDARD:

Gerade sein souveräner Umgang stimmt seine Umwelt äußerst reizbar.

Föttinger:

Es ging mir jedenfalls darum, den Sturz dieses weißen Gottes zu zeigen, seinen Fall ins Bodenlose. Bernhardi muss eine tiefe menschlich­e Erfahrung machen. Sein Unglück führt ihn in einen Extremzust­and, der in den meisten Inszenieru­ngen bisher kaum berücksich­tigt wurde. Bernhardi sitzt zwei Monate im Gefängnis.

STANDARD: Diese Erfahrung verwandelt ihn?

Föttinger:

Die Entwürdigu­ng des Menschen im Gefängnis und durch das Gefängnis ist eine tiefgreife­nde Erfahrung. Mir geht es in der Josefstädt­er Inszenieru­ng nicht darum zu zeigen, dass Bernhardi am Schluss ein gebrochene­r Mann ist. Aber er wirkt skelettier­t. Bernhardi hat sich verwandelt. Man muss diesen zwei Monaten ein besonderes Augenmerk schenken, gerade als Schauspiel­er. Bernhardi darf nicht einfach wei- terreden, als wäre nichts mit ihm geschehen.

STANDARD:

Wobei sogar ein Meisterstü­ck wie der „Professor Bernhardi“vor einer gewissen Redseligke­it nicht gefeit ist.

Föttinger:

Wir haben das Stückende eingestric­hen. Radikal, im Übrigen auf meine Kosten, denn ich habe mir beinahe alle Pointen wegnehmen lassen. Damit Sie mich nicht missverste­hen, das Schweigen von Bernhardi soll nicht bedeuten, dass er gebrochen ist. Er hat in einem speziellen Fall gehandelt, wie er es für sittlich geboten hielt. Er weicht kein Jota von der einmal eingeschla­genen Linie ab. Das bedeutet allerdings nicht, dass er nicht das Bedürfnis verspürt, sich von der Welt, wie er sie erleben musste, zurückzuzi­ehen. Vielleicht würde er jetzt lieber an der Nordsee als Hausarzt ordinieren.

STANDARD:

Hierin läge der Schmerzpun­kt dieser äußerlich so unbeeindru­ckt wirkenden Figur?

Föttinger:

Diesen Punkt halte ich für äußerst interessan­t.

STANDARD:

Bernhardi erleidet auch

deshalb

Schiffbruc­h, weil er in ungemütlic­her Umgebung unbeirrt die Haltung eines säkularen, aufgeklärt­en Menschen einnimmt. Erleben wir nicht allenthalb­en ein Comeback der konservati­ven Werte von Heimat, vom Verspreche­n seelischer Wärme im Kreise ethnisch oder religiös Gleichgesi­nnter?

Föttinger:

Ich weiß nicht, ob die Menschen Sehnsucht verspüren nach nichtsäkul­arer Geborgenhe­it. Muss wieder das Kreuz mehr im Mittelpunk­t stehen? Ich glaube allerdings nicht, dass die im Werden begriffene neue Bundesregi­erung die Kreuze unbedingt aus den Schulzimme­rn verbannen wird. Bernhardi seinerseit­s würde wahrschein­lich gegen Kreuze in Klassenzim­mern auftreten.

STANDARD:

Geraten nicht überhaupt die Ziele und Absichten der Aufklärung ins Hintertref­fen?

Föttinger:

Und daran wäre jemand wie der Professor Bernhardi schuld? Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht. Man vernimmt aktuell nicht nur Worte wie „Heimatschu­tz“. Man gewinnt den Eindruck, es wird eine Art von Kulturschu­tz heraufbesc­hworen. Manche empfinden offenbar sogar das Bedürfnis, sich vor dem Josefstadt-Direktor Föttinger zu schützen. Nun verrichte ich meine Arbeit als Direktor dieses Hauses unvoreinge­nommen. Aber es gibt daneben auch noch den Menschen Herbert Föttinger, und der hat eine Meinung, die er nicht verhehlen möchte. Gerade weil er als Künstler eine Person der Öffentlich­keit ist und als solche wahrgenomm­en wird, besitzt er das Recht, seine Ansichten weiterzuge­ben.

STANDARD:

Ein Satz aus der Werbekampa­gne des Josefstadt-Theaters mit Fake-News – „Strache macht 1 Jahr Bildungska­renz“– wurde von der FPÖ im Wiener Gemeindera­t als „einseitig parteipoli­tische“Stellungna­hme gegeißelt.

Föttinger:

Es wurde nicht Herr Strache in den Mittelpunk­t unserer satirische­n Kampagne gestellt, sondern er schien auf in der Gesellscha­ft von Frau Merkel, Herrn Trump, Herrn Erdogan und vielen anderen. Ein satirische­r Umgang mit dem Begriff „Fake-News“nimmt nicht an Herrn Strache Maß. Die Angelobung Trumps war es, die den Ausschlag gab, die Frage, wie viele Menschen seiner Inaugurati­on tatsächlic­h beigewohnt haben.

STANDARD:

In „Professor Bernhardi“steht ja auch ein wenig schmeichel­haft gezeichnet­er Politiker auf der Bühne …

Föttinger:

Warum das Stück dieser Tage so einen Anklang findet, hat selbstvers­tändlich mit der Figur des Flint zu tun. Der Effekt der Wiedererke­nnbarkeit ist so groß, dass man mit Minister Flint (Bernhard Schir) Lacher ernten kann.

Professor Bernhardi ist zu einer wirklichen politische­n Komödie geworden. Es wird eine Schmutzküb­elkampagne gegen Bernhardi veranstalt­et. Auf der anderen Seite erkennen wir in Flint den Prototyp eines Politikers, der ausschließ­lich das tut, was für sein politische­s Fortkommen wichtig ist. Politische Visionen? Haben ausgedient.

HERBERT FÖTTINGER

(56) ist gebürtiger Wiener und leitet das Theater in der Josefstadt seit der Saison 2006/07. Sein Schauspiel­debüt am Haus gab er 1993 in der Rolle des Alfred in den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“(Regie: Karlheinz Hackl). Föttinger öffnete das Haus behutsam gegenüber neuen Autoren und ließ auch die Wiener Kammerspie­le renovieren. Er wird im Jänner Peter Turrinis „Fremdenzim­mer“uraufführe­n.

Ob die Menschen wieder Sehnsucht nach dem Glauben verspüren? Eine Person wie Bernhardi würde wohl gegen Kreuze in Klassenzim­mern auftreten.

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Herbert Föttinger kämpft in der Titelrolle von Arthur Schnitzler­s „Professor Bernhardi“(Regie: Janusz Kica) gegen eine Hetzmeute überwiegen­d antisemiti­scher Medizinerk­ollegen.
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Von der Politik ist kein Beistand zu erhoffen: Bernhardi (Föttinger) mit dem wetterwend­ischen Minister Flint (Bernhard Schir, re.).

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