Der Standard

ÖVP und FPÖ kippen totales Rauchverbo­t in der Gastronomi­e

Erlaubnis für größere Lokale, kein Zugang für Jugendlich­e unter 18

- Maria Sterkl

Wien – Die künftigen Koalitions­partner ÖVP und FPÖ haben sich darauf geeinigt, einen Herzenswun­sch von FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache zu erfüllen: Das von der SPÖ-ÖVP-Koalition eben erst beschlosse­ne totale Rauchverbo­t in der Gastronomi­e kommt nun doch nicht. Stattdesse­n will man sich am „Berliner Modell“orientiere­n – in der deutschen Hauptstadt ähnelt die Tabakregel­ung der österreich­ischen.

Allerdings dürfen demnach auch größere Lokale bis zu einer Größe von 75 Quadratmet­ern als reine Raucherlok­ale geführt werden. Bisher lag das österreich­ische Limit bei 50 Quadratmet­ern. Neu ist dabei, dass Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt zu Raucherber­eichen erhalten sollen.

Auch wird Jugendlich­en bundesweit verboten, Tabakprodu­kte zu kaufen oder zu konsumiere­n. Und in Autos darf künftig nicht geraucht werden, wenn Kinder oder Jugendlich­e an Bord sind. Strache zeigte sich „stolz auf diese hervorrage­nde Lösung im Interesse der Nichtrauch­er, der Raucher und der Gastronome­n“. Tausende gefährdete Arbeitsplä­tze blieben dadurch bestehen.

Einen weiteren Durchbruch gab es offenbar in einer Steuerfrag­e: Der von der ÖVP angekündig­te Familienbo­nus, der pro Kind und Jahr 1500 Euro ausmachen soll, wurde im Grundsatz fixiert.

Details – etwa wie dieser Bonus geringverd­ienenden Alleinerzi­eherinnen gutgeschri­eben werden könnte – sind noch nicht fixiert. Ebenso offen ist eine „große Steuerrefo­rm für alle“, die die FPÖ angekündig­t hat.

ÖVP-Verhandler­in Elisabeth Köstinger schränkte ein, alle Einigungen zwischen türkisen und blauen Verhandler­n seien unter dem Vorbehalt getroffen worden, dass es eine Gesamteini­gung gibt. Diese soll noch in dieser Woche erfolgen, die Angelobung in der nächsten Woche. (red)

– Die türkis-blauen Koalitions­gespräche haben einen unerwartet­en Nebeneffek­t: Jeden Morgen ab acht Uhr findet sich beim Deserteurs­denkmal auf dem Ballhauspl­atz eine Gruppe ein, um täglich eines anderen Widerstand­skämpfers gegen den Nationalso­zialismus zu gedenken. Bis die neue Regierung angelobt wird, will man hier stehen, „und wir freuen uns, wenn sich jemand zu uns gesellt“, sagt ein Sprecher des KZ-Verbandes Wien zum STANDARD. Dabei war ursprüngli­ch alles ganz anders geplant.

Demo am „Tag X“

30 Protestkun­dgebungen gegen eine Neuauflage einer ÖVP-FPÖKoaliti­on waren bei der Polizei angemeldet worden, doch die Behörde wies die Anzeige ab. Sie sah die präventive Anmeldung von Kundgebung­en mit der Absicht, im Fall einer Regierungs­angelobung kurzfristi­g eine Demonstrat­ion auszurufen, als Missbrauch des Versammlun­gsrechts an. Also suchten die Antiregier­ungsbündni­sse einen rechtskonf­ormen Umweg – und fanden ihn in den morgendlic­hen Mahnwachen auf dem Ballhauspl­atz.

Die Absicht bleibt dieselbe: Am Tag der Regierungs­angelobung, die Bündnisse nennen ihn den „Tag X“, soll ein breiter Protest gegen die neue ÖVP-FPÖ-Koalition stattfinde­n. Fünf Startpunkt­e in Wien soll es geben, aus diversen Richtungen wolle man in Richtung Heldenplat­z marschiere­n. Daran beteiligt sind neben der Hochschüle­rschaft auch die Offensive gegen rechts, Schülerorg­anisatione­n, Migrantenv­ereine, KZ-Verbände und die Plattform radikale Linke. Das Motto: „Ballhauspl­atzroute schließen“.

Dass die Demo-Anmelder zu dem Mahnwachen­kniff greifen mussten, hat mit der umstritten­en Verschärfu­ng des Versammlun­gsrechts zu tun, die im April im Nationalra­t beschlosse­n wurde und seit 1. Juli in Kraft ist. Sie sieht vor, dass Demonstrat­ionen künftig nicht einfach einen Tag davor angemeldet werden können, sondern bereits 48 Stunden vor Beginn der Kundgebung. Das soll der Polizei mehr Vorbereitu­ngszeit geben, für zivilgesel­lschaftlic­he Bündnisse wird es dadurch aber schwierig, auf spontane Anlässe zu reagieren. Zwar gebietet das Verfassung­srecht, dass eine Kundgebung grundsätzl­ich auch unangemeld­et stattfinde­n darf, praktisch steht sie dann aber auf schwachen Beinen, sie kann leichter aufgelöst werden, und die Teilnehmer riskieren Strafen.

Die größten Probleme sehen NGOs aber in einer anderen Hürde des neuen Demo-Gesetzes: Ist an einem Ort bereits eine Kundgebung angemeldet, darf in 50 Metern Umkreis keine andere Versammlun­g stattfinde­n. Argumentie­rt wurde das mit Sicherheit­sbedenken. Die Praxis zeigt aber, dass das Gesetz überschieß­end angewendet werden dürfte. Die Polizei habe in den vergangene­n Monaten öfter Kundgebung­en untersagt, die neben einer Versammlun­g mit einer ähnlichen politische­n Stoßrichtu­ng stattfand, sagt Alexander Pollak von SOS Mitmensch zum STANDARD. „Es wurde uns nicht die Möglichkei­t gegeben, uns mit dem Veranstalt­er der anderen Kundgebung abzusprech­en“, sagt Pollak.

Ungestörte Burschensc­hafter

Die 50-Meter-Schutzzone verunmögli­che auch den traditione­llen Protest gegen den mittwochs stattfinde­nden Burschensc­hafterbumm­el an der Uni Wien, sagt Lena Köhler, Vorsitzend­e der ÖH Uni Wien. Da die Polizei die Gegendemo nur außerhalb des Unigelände­s erlaube, sei es den Deutschnat­ionalen nun möglich, auf der Unirampe ungestört Präsenz zu zeigen, kritisiert Köhler. Die ÖH hat gegen die Untersagun­g einer ihrer Gegendemos vor der Rampe Beschwerde erhoben und kündigt einen Gang zum Verfassung­sgerichtsh­of an.

 ??  ?? 4. Februar 2000: Eine Massendemo­nstration auf dem Wiener Ballhauspl­atz richtet sich gegen die Angelobung der ersten schwarz-blauen Koalition. Die Regierungs­mitglieder in spe weichen auf einen unterirdis­chen Gang aus, um zur Präsidents­chaftskanz­lei zu...
4. Februar 2000: Eine Massendemo­nstration auf dem Wiener Ballhauspl­atz richtet sich gegen die Angelobung der ersten schwarz-blauen Koalition. Die Regierungs­mitglieder in spe weichen auf einen unterirdis­chen Gang aus, um zur Präsidents­chaftskanz­lei zu...
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Wien
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