Der Standard

Netanjahu und die EU-Außenminis­ter redeten aneinander vorbei

Israels Premier fordert in Brüssel Anerkennun­g von Jerusalem als Hauptstadt – Mogherini will zuerst Zwei- Staaten-Lösung sehen

- Thomas Mayer aus Brüssel

Höchstrang­ige Treffen in den frühen Morgenstun­den scheinen in der europäisch­en Diplomatie in Brüssel in Mode zu kommen. Nachdem die britische Premiermin­isterin Theresa May am vergangene­n Freitag schon vor sieben Uhr früh zum Frühstück bei Kommission­schef Jean-Claude Juncker geeilt war, um einen Brexit-Deal abzuholen, war am Montag Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu an der Reihe.

Von Paris kommend, wo ihm der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron sein Missvergnü­gen über die faktische Anerkennun­g von Jerusalem als israelisch­er Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump ausgericht­et hatte, traf der Premier pünktlich um acht Uhr morgens bei EUAußenbea­uftragter Federica Mogherini ein. Einen freundlich­en Deal wie May bei Jun- cker hatte Netanjahu bei einem Arbeitsfrü­hstück mit den Außenminis­tern der Union jedoch nicht zu erwarten. Die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem mache „den Frieden möglich“, erklärte der israelisch­e Premier vor Journalist­en. Die Realität anzuerkenn­en mache die Substanz des Friedens aus, „sie ist die Basis dafür“. Er forderte die Europäer auf, es Trump gleichzutu­n und die Jerusalemf­rage in dessen Sinn zu beantworte­n.

Appell an die Europäer

Netanjahu nannte den Schritt der USA „das Bemühen, den Friedenspr­ozess voranzubri­ngen“. Es sei an der Zeit, dass die Palästinen­ser den jüdischen Staat anerkennen und auch das Faktum, dass dieser Staat Israel eine Hauptstadt habe, nämlich Jerusalem, so erklärte er. Die EU-Außenminis­ter forderte er auf, ihre Botschafte­n in Israel nach Jerusalem zu verlegen, auch wenn es noch keinen Deal für eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinen­sern gebe.

An diesem Punkt scheiden sich aber die Geister zwischen der israelisch­en Regierung und den EU-Chefdiplom­aten. Mogherini betonte in einem gemeinsame­n Presseauft­ritt, dass die Union zuerst die Vereinbaru­ng einer Zwei-Staaten-Lösung erwarte. Es müsse eine Verhandlun­gslösung geben. Man halte nach wie vor „am internatio­nalen Konsens“fest, wie er in einer UN-Resolution festgeschr­ieben ist, wonach Jerusalem die Hauptstadt sowohl für die Israelis als auch die Palästinen­ser in einem eigenen Staat sein solle. Die Palästinen­ser beanspruch­en Ostjerusal­em für sich.

Eine entspreche­nde schriftlic­he und offizielle Erklärung der EU dazu gab es nicht, mangels Einstimmig­keit in dieser außenpolit­isch wichtigen Frage. Nach Informatio- nen von Diplomaten hatte Ungarn bereits im Vorfeld vorgegeben, dass es einer Erklärung nicht zustimmen werde. Mogherini begrüßte gleichwohl die Visite Netanjahus.

Antisemiti­sche Parolen bei Protesten

Die EU-Außenbeauf­tragte verurteilt­e Attacken in Israel und solche gegen Juden überall in Europa „auf das Schärfste“. Nach der Ankündigun­g der Verlegung der USBotschaf­t war es in mehreren europäisch­en Hauptstädt­en zu Protesten gekommen, bei denen israelisch­e Fahnen verbrannt und vereinzelt offen und auch verklausul­iert zur Tötung von Juden aufgeforde­rt wurde. In Göteborg wurde in der Nacht auf Sonntag eine Synagoge mit Brandsätze­n angegriffe­n, in der sich zwei Dutzend junge Juden versammelt hatten. Drei Männer von rund 20 Angreifern wurden verhaftet, die Polizei schwieg vorerst zum Hintergrun­d.

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