Netanjahu und die EU-Außenminister redeten aneinander vorbei
Israels Premier fordert in Brüssel Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt – Mogherini will zuerst Zwei- Staaten-Lösung sehen
Höchstrangige Treffen in den frühen Morgenstunden scheinen in der europäischen Diplomatie in Brüssel in Mode zu kommen. Nachdem die britische Premierministerin Theresa May am vergangenen Freitag schon vor sieben Uhr früh zum Frühstück bei Kommissionschef Jean-Claude Juncker geeilt war, um einen Brexit-Deal abzuholen, war am Montag Israels Premierminister Benjamin Netanjahu an der Reihe.
Von Paris kommend, wo ihm der französische Staatspräsident Emmanuel Macron sein Missvergnügen über die faktische Anerkennung von Jerusalem als israelischer Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump ausgerichtet hatte, traf der Premier pünktlich um acht Uhr morgens bei EUAußenbeauftragter Federica Mogherini ein. Einen freundlichen Deal wie May bei Jun- cker hatte Netanjahu bei einem Arbeitsfrühstück mit den Außenministern der Union jedoch nicht zu erwarten. Die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem mache „den Frieden möglich“, erklärte der israelische Premier vor Journalisten. Die Realität anzuerkennen mache die Substanz des Friedens aus, „sie ist die Basis dafür“. Er forderte die Europäer auf, es Trump gleichzutun und die Jerusalemfrage in dessen Sinn zu beantworten.
Appell an die Europäer
Netanjahu nannte den Schritt der USA „das Bemühen, den Friedensprozess voranzubringen“. Es sei an der Zeit, dass die Palästinenser den jüdischen Staat anerkennen und auch das Faktum, dass dieser Staat Israel eine Hauptstadt habe, nämlich Jerusalem, so erklärte er. Die EU-Außenminister forderte er auf, ihre Botschaften in Israel nach Jerusalem zu verlegen, auch wenn es noch keinen Deal für eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern gebe.
An diesem Punkt scheiden sich aber die Geister zwischen der israelischen Regierung und den EU-Chefdiplomaten. Mogherini betonte in einem gemeinsamen Presseauftritt, dass die Union zuerst die Vereinbarung einer Zwei-Staaten-Lösung erwarte. Es müsse eine Verhandlungslösung geben. Man halte nach wie vor „am internationalen Konsens“fest, wie er in einer UN-Resolution festgeschrieben ist, wonach Jerusalem die Hauptstadt sowohl für die Israelis als auch die Palästinenser in einem eigenen Staat sein solle. Die Palästinenser beanspruchen Ostjerusalem für sich.
Eine entsprechende schriftliche und offizielle Erklärung der EU dazu gab es nicht, mangels Einstimmigkeit in dieser außenpolitisch wichtigen Frage. Nach Informatio- nen von Diplomaten hatte Ungarn bereits im Vorfeld vorgegeben, dass es einer Erklärung nicht zustimmen werde. Mogherini begrüßte gleichwohl die Visite Netanjahus.
Antisemitische Parolen bei Protesten
Die EU-Außenbeauftragte verurteilte Attacken in Israel und solche gegen Juden überall in Europa „auf das Schärfste“. Nach der Ankündigung der Verlegung der USBotschaft war es in mehreren europäischen Hauptstädten zu Protesten gekommen, bei denen israelische Fahnen verbrannt und vereinzelt offen und auch verklausuliert zur Tötung von Juden aufgefordert wurde. In Göteborg wurde in der Nacht auf Sonntag eine Synagoge mit Brandsätzen angegriffen, in der sich zwei Dutzend junge Juden versammelt hatten. Drei Männer von rund 20 Angreifern wurden verhaftet, die Polizei schwieg vorerst zum Hintergrund.