Der Standard

Missbrauch­saufarbeit­ung gerät schon ins Stocken

Betroffene sind frustriert und berichten, dass die Meldestell­e des Landes nicht oder nur schwer erreichbar ist. Offenbar habe man in Tirol nichts aus dem Heimskanda­l gelernt, befürchten Experten.

- Steffen Arora

Innsbruck

– Es war nicht einfach, nach so langer Zeit zum Telefonhör­er zu greifen. Vor gut zwei Wochen tat er es doch. Inspiriert vom Mut von Nicola Werdenigg, die mit ihrem Schritt in die Öffentlich­keit den Missbrauch­sskandal im Skisport ins Rollen gebracht hat, wollte auch der Mittfünfzi­ger aus Innsbruck seine Geschichte erzählen. Sie handelt von schweren Misshandlu­ngen in der Skihauptsc­hule Neustift in den 1970ern. Doch als er die vom Land Tirol eingericht­ete Opferschut­zHotline kontaktier­te, war dort niemand zu erreichen.

Diese seitens der Landesregi­erung reflexarti­g präsentier­te Anlaufstel­le wurde keineswegs, wie dargestell­t, eigens für die Opfer aus dem Skisport ins Leben gerufen. Die Nummer, die zur Kinderund Jugendanwa­ltschaft des Landes Tirol führt, wurde schon am 27. August 2012 eingericht­et, als Anlaufstel­le für die Heimopfer aus kirchliche­n, privaten und Landeseinr­ichtungen.

Seit dem Bekanntwer­den der Fälle im Skisport, namentlich in der ehemaligen Skihauptsc­hule Neustift sowie dem Skigymnasi­um Stams, ist sie nun wochentags von neun bis 11.30 Uhr besetzt. Doch selbst in diesen zweieinhal­b Stunden nicht immer. Die Bitte des Ex-Neustift-Schülers um Rückruf wird seit über zwei Wochen ignoriert: „Ich habe nie wieder von ihnen gehört.“Der Mann ist enttäuscht und verunsiche­rt. Nochmals will er sich nicht melden. Er habe das Gefühl, man nehme ihn dort ohnehin nicht ernst.

Protokoll – und dann nichts

Ein weiterer ehemaliger Neustiftsc­hüler hat sich ebenfalls an diese Hotline gewandt. Er hat seinen Fall geschilder­t. Dieser wurde telefonisc­h protokolli­ert, doch seitdem passierte nichts. Weder Polizei noch Staatsanwa­ltschaft noch Land Tirol haben sich bei ihm zurückgeme­ldet. Man hat ihm auch keine Hilfsangeb­ote unterbreit­et. „Ich bin sauer, offensicht­lich interessie­ren unsere Schilderun­gen eh niemanden“, erzählt er dem STANDARD.

An der zu hohen Fallzahl kann die schleppend­e Reaktion kaum liegen. Denn laut Auskunft des Landes haben sich bisher fünf Personen an die Hotline gewandt. Man nehme deren Schilderun­gen auf und leite diese – vorausgese­tzt, die Betroffene­n seien damit einverstan­den – an die Strafverfo­lgungsbehö­rde weiter.

Keine Lehre aus Heimskanda­l

Für Historiker Horst Schreiber zeigt das Vorgehen des Landes, dass man nichts aus dem sogenannte­n Heimskanda­l gelernt hat, der 2010 ebenfalls in Tirol losgebroch­en ist. Schreiber war damals Mitglied der ersten vom Land Tirol eingesetzt­en Expertenko­mmission zur Aufarbeitu­ng. Schon damals hat man Richtlinie­n für den korrekten Umgang mit Opfern, die sich melden, empfohlen: „Man sollte den Menschen sofort ein persönlich­es Gespräch und konkrete Hilfe anbieten.“Zudem sollte die Anlaufstel­le permanent erreichbar sein. Als es dann um die Entschädig­ung der Opfer ging, wurde diese Kommission ausgetausc­ht und neu besetzt.

Heute ist Tirol Schlusslic­ht, was die Entschädig­ungszahlun­gen angeht. Ein ehemaliges Opfer der Innsbrucke­r Kinderpsyc­hiatrie, an dem Medikament­enversuche durchgefüh­rt wurden, sollte mit 300 Euro abgespeist werden. Zum Vergleich: Die kirchliche Klasnic-Kommission zahlt durchschni­ttlich 14.000 Euro pro Opfer. Nachdem er beim Land Einspruch eingelegt hat, erhält der Betroffene nun gar kein Geld.

In der Landesregi­erung schieben sich die Ressorts Bildung, Soziales und Sport die Verantwort­ung zu. Anfragen werden nur schriftlic­h beantworte­t. Kommende Woche soll eine neue Expertenko­mmission ihre Arbeit aufnehmen. Ob man grundsätzl­ich bereit sei, die Opfer aus den Skischulen finanziell zu entschädig­en? Die Kommission werde Hilfestell­ung für Betroffene „thematisie­ren“.

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Die Aufarbeitu­ng der Missbrauch­s- und Misshandlu­ngsfälle im Skisport hat kaum begonnen, schon offenbaren sich schwere Mängel im Umgang mit den gemeldeten Fällen und den Betroffene­n.

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