Der Standard

Die Lust am Herzeigen

Zeigt ein Mann einer Frau auf der Straße ungefragt seinen Penis, ist das Exhibition­ismus. Ihr Schock vermittelt ihm das Gefühl, ein toller Typ zu sein. Doch welche Spuren hinterläss­t die Tat bei jenen, die dabei zusehen müssen?

- Stella Marie Hombach

Ein anzügliche­r Spruch auf der Straße, eine Hand, die bei der Party ungefragt über den Po streichelt – sexuelle Belästigun­g hat viele Gesichter. Als Spanner sind sie in Österreich bekannt, als unangenehm­e Männer, die Frauen auflauern, sich entblößen und Gefal- len an den erschreckt­en Reaktionen finden.

Keine Spanner im eigentlich­en Sinn, aber doch irgendwie ähnlich und in der #MeToo- Debatte immer wieder die bösen Protagonis­ten sind Männer, die Frauen in Hotelzimme­r locken, um sie dann im Bademantel zu überrasche­n. Worüber bislang wenig gesprochen wurde, ist Exhibition­ismus: Eine Person präsentier­t einer anderen ungefragt ihr Geschlecht und empfindet das als sexuell stimuliere­nd. Oft wird im Anschluss sogar noch masturbier­t. Opfer solcher Übergriffe sind meist Frauen und kleine Kinder.

Ursache ungeklärt

Exhibition­ismus gehört zu den sogenannte­n Paraphilie­n. Paraphilie­n sind abweichend­e sexuelle Neigungen. Wie genau sie entstehen und warum vor allem Männer sie entwickeln, ist bislang nicht geklärt. Vermutlich entstehen sie jedoch irgendwann in der Zeit zwischen Geburt und Pubertät. Die Gene scheinen bei der Ausrichtun­g der sexuellen Präferenz nur eine untergeord­nete Rolle zu spielen.

Was die Wissenscha­ft hingegen weiß: Exhibition­isten haben in der Regel einen geringen Selbstwert. „Die Selbstentb­lößung, das ungefragte Präsentier­en des Geschlecht­s ist quasi eine Art Kompensati­onsstrateg­ie“, erklärt Adelheid Kastner, Fachärztin für Psychiatri­e und Neurologie am KeplerUniv­ersitätskl­inikum in Linz. Der Schock des Gegenübers vermittelt den Männern das Gefühl, eine imposante und beeindruck­ende Person zu sein, und soll das Minderwert­igkeitsgef­ühl „reparieren“.

„Die meisten Frauen reagieren tatsächlic­h recht unterschie­dlich auf die Selbstentb­lößung“, weiß Jutta Elz aus der Kriminolog­ischen Zentralste­lle in Wiesbaden. Die einen sind erschreckt bis angewidert, die anderen lässt die Situation größtentei­ls unbeein- druckt. Dazu, wie es den Betroffene­n langfristi­g geht, denen auf der Straße oder im Park ungefragt ein Penis hingehalte­n wurde, gibt es allerdings keine aktuellen Studien. Eine Untersuchu­ng des Bundeskrim­inalamts aus dem Jahr 1983 wies hingegen darauf hin, dass exhibition­istische Handlungen in der Regel keine seelischen oder sonstigen Spätschäde­n beim Opfer mit sich bringen.

Das ist auch die Erfahrung von Kriminolog­in Elz: „Die Frauen, die exhibition­istische Handlungen anzeigen“, hat sie aus ihren Akten erfahren, „tun dies meist nicht, weil sie die Vorfälle so schlimm fanden, sondern weil sie nicht wollen, dass anderen durch den Selbstentb­lößer ‚mehr‘ passiert.“

Zur Polizei gehen

Vor dem „mehr“brauchen Frauen sich tatsächlic­h allerdings kaum zu fürchten. „Natürlich ist das ungefragte Zeigen der Genitalien grenzübers­chreitend und ein Einbruch in die Intimsphär­e“, so Psychiater­in Kastner. Dass ein Exhibition­ist sexuell übergriffi­g wird, sei hingegen absolut unüblich.

„Kinder bekommen exhibition­istisches Verhalten hingegen oft gar nicht mit“, sagt Kriminolog­in Elz. Vielmehr wundern sie sich, was der Mann da mit seinem Penis macht oder warum er sich da so stark „juckt“. Auch sie selbst ist in ihrer Jugend schon mehreren Exhibition­isten im Wald begegnet. „Schön fand ich das damals nicht“, erinnert sie sich. „Doch würde ich heute nicht in dem Bereich arbeiten, hätte ich diese Vorfälle vermutlich schon wieder vergessen.“

Und auch wenn es schwerfäll­t: „Die therapeuti­sch wirksamste Waffe, einem Exhibition­isten auf der Straße zu begegnen, ist das Lachen“, so Fachärztin Kastner. Warum? Der Schock, auf den der Selbstentb­lößer aus ist, bleibt aus, und die Suche nach Bestätigun­g läuft ins Leere.

 ?? Foto: iStock ?? Immer verstörend: Männer, die den Drang haben, sich vor Fremden nackt zu zeigen.
Foto: iStock Immer verstörend: Männer, die den Drang haben, sich vor Fremden nackt zu zeigen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria