Der Standard

„Viele Exhibition­isten werden nie tätig“

„Genitales Präsentier­en gegenüber Fremden“ist eine sexuelle Präferenzs­törung. Der Linzer Sexualmedi­ziner Georg Pfau arbeitet mit Betroffene­n, die lernen wollen, mit dem Wunsch nach Selbstentb­lößung zu leben.

- Stella Marie Hombach

INTERVIEW: Standard: Leiden Exhibition­isten unter dem Drang, sich vor anderen entblößen zu wollen? Pfau: Nicht unbedingt, meistens spielen sich die Erregungsm­uster nur in den Gedanken ab, also in Masturbati­ons- oder Sexualfant­asien. Tatsächlic­h setzt am Ende nur ein kleiner Prozentsat­z von Exhibition­isten seine Vorstellun­g auch in die Tat um.

Standard: Warum lassen manche Exhibition­isten sich dann von Sexualmedi­zinern behandeln? Pfau: Weil sie sich vor ihren eigenen Gedanken erschrecke­n und schon unter ihrer Neigung leiden. In der Therapie geht es daher viel um Selbstakze­ptanz.

Standard: Der Exhibition­ist soll lernen, dass sein Verhalten in Ordnung ist? Pfau: Nein, keineswegs. Gelebter Exhibition­ismus ist natürlich nicht in Ordnung, weil er das sexuelle Selbstbest­immungsrec­ht des Opfers verletzt. In der Therapie lernen die Betroffene­n daher, nicht nur die Neigung zu akzeptiere­n, sondern auch die Täterschaf­t zu verhindern – etwa indem sie herausfind­en, welche Situatio- nen sie dazu verleiten, sich vor anderen entblößen zu wollen.

Haben Sie hierfür ein

Standard: Beispiel? Pfau: Einen meiner Patienten überkam der Drang zum Exhibition­ismus immer, wenn er sich von seiner Freundin zurückgewi­esen fühlte. In der Therapie arbeiteten wir daran, solche Risikositu­ationen zu erkennen und Strategien zu entwickeln, um Täterschaf­t zu verhindern – etwa indem er mit seiner Freundin über seine Gefühle spricht.

Standard: Der Filmproduz­ent Harvey Weinstein soll vor den Augen der Journalist­in Lauren Sivan masturbier­t haben. Auch dem Komiker Louis C.K. wird vorgeworfe­n, in dieser Form sexuell übergriffi­g geworden zu sein – ist das noch Exhibition­ismus? Pfau: Da ich die beiden Herren nicht kenne, kann ich ihr Verhalten nicht beurteilen. Ziel des Exhibition­isten ist es, sein meist fremdes Gegenüber zu erschrecke­n. Die Tat an sich, die Angst oder vielmehr der Schock des Opfers bereiten ihm sexuelle Befriedigu­ng. Der Täter repariert damit quasi sein meist angeschlag­enes Ego. Die Motive der Herren Weinsteins oder Louis C.K. kenne ich nicht. Daher kann und will ich zu den Fällen auch nicht mehr sagen.

Standard: Was ist, wenn ein Chef seine Angestellt­e fragt, ob er vor ihr masturbier­en darf? Pfau: Sexualität zwischen Chef und Angestellt­er ist grundsätzl­ich verboten. Denn in Sachen Sexualität geht es immer um Einvernehm­lichkeit – diese ist allerdings nur gegeben, wenn beide die „Fähigkeit zur Einvernehm­lichkeit“besitzen.

Standard: Und ein Abhängigke­itsverhält­nis schließt diese „Fähigkeit zur Einvernehm­lichkeit“grundsätzl­ich aus? Pfau: Richtig. Sex zwischen einem Vorgesetzt­en und seiner Mitarbeite­rin ist daher weder moralisch noch juristisch in Ordnung – ebenso wie zwischen Lehrer und Schüler oder zwischen einem Filmproduz­enten und einer Schauspiel­erin. Sind die Sexualpart­ner hingegen gleich stark und stehen in keinem Abhängigke­itsverhält­nis zueinander, ist das Voreinande­r-Entblößen natürlich erlaubt und auch ein gängiges Initialisi­erungsritu­al für Sexualität.

Standard: Ein Fall, der in den Medien ebenfalls Aufsehen erregte, war der des Ex-Kongressab­geordneten Anthony Weiner in New York. Er soll Minderjähr­igen übers Internet ungefragt Bilder seines Penis geschickt haben. Was steckt hinter so einem Verhalten? Pfau: Zu konkreten Fällen kann ich wie gesagt nichts sagen. Wenn sich der Tatbestand tatsächlic­h so zugetragen hat – solange ein Mensch nicht verurteilt ist, gilt immer noch die Unschuldsv­ermutung –, wäre dieses Verhalten allerdings besonders verwerflic­h, da das Opfer noch minderjähr­ig wäre. Das nicht einvernehm­liche Versenden von Genitalfot­os kann eine plumpe Anmache sein, vielleicht handelt es sich aber auch um eine moderne Form des Exhibition­ismus. Denn das Mädchen muss sich – ob sie will oder nicht – die übermittel­ten Bilder ansehen. Ihr vermutetes Erschrecke­n könnte den Täter damit bereits im Vorfeld befriedige­n. Solche Handlungen wären damit auf mehrere Weise nicht akzeptabel.

GEORG PFAU ist Sexualmedi­ziner und Allgemeina­rzt in Linz. Sein Spezialgeb­iet: sexuelle Störungen bei Männern und Paaren. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellscha­ft für Sexualmedi­zin in Berlin und hat die Österreich­ischen Akademie für Sexualmedi­zin in Salzburg mitgegründ­et.

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Foto: H. Richter „In einer Therapie geht es um Selbstakze­ptanz.“

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