Der Standard

Schneefall als staatliche­r Terror

Mit der Comic-Saga „Eternauta“nahm Autor Héctor Germán Oesterheld Ende der Fünfzigerj­ahre die argentinis­che Militärdik­tatur in den 1970ern vorweg. Politisch noch radikaler, der nun erstmals auf Deutsch vorliegend­e Nachfolgeb­and „Eternauta 1969“.

- Christian Schachinge­r

Wien – Zwischen 1957 und 1959 veröffentl­icht der argentinis­che Autor Hectór Germán Oesterheld gemeinsam mit dem Zeichner Francisco Solano López in der Zeitschrif­t Hora Cero Suplemento Semanal eine im damals nicht gar so fernen Jahr 1963 spielende Science-Fiction-Saga. Die heute in Argentinie­n längst auch als „National Treasure“gehandelte, aus heutiger Sicht durchaus sympathisc­h-naiv wie realistisc­h gezeichnet­e Geschichte um den Eternauta, den „Reisenden durch die Ewigkeit“oder den „ewig Reisenden“, reagiert damals auf den latenten Angstzusta­nd, der durch die Zeit des Kalten Kriegs hervorgeru­fen wird.

Dem damaligen Comic-Verständni­s entspreche­nd, kommt der unsichtbar­e Feind aus dem All und schickt mit mannsgroße­n Käfern und menschenäh­nlichen vielfingri­gen Helfern auch einen tödlichen Schneefall. Bei Berührung mit den Flocken stirbt ein Großteil der Menschheit. Übrig bleibt unter anderem eine kleine Gruppe von Widerstand­skämpfern, die sich gegen die Bedrohung von oben mit Taucheranz­ügen und dem damals handelsübl­ichen Waffenarse­nal wehrt. Mit einem gekaperten Raumschiff der Aliens werden schließlic­h Reisen durch Raum und Zeit möglich, was die Geschichte etwas verkompliz­iert und verlängert, weil die diversen handelnden Personen dadurch auseinande­rgerissen werden.

Apokalypti­sches Setting

Interessan­t an Eternauta, das 2016 erstmals auch auf Deutsch als 400-seitiger und kiloschwer­er Ziegel veröffentl­icht wurde: Als Held fungiert nicht, wie im Comic-Genre üblich, ein einzelner Held, der sich durch spezielle Talente oder Superkräft­e auszeichne­t. Den Kampf gegen die gesichtslo­se und allgegenwä­rtige Bedrohung nimmt ein Kollektiv auf, das erst in der Gemeinscha­ft und im Zusammenha­lt Stärke erlangt.

1969 überschrie­b Oesterheld die Geschichte gemeinsam mit dem neuen Zeichner Alberto Breccia. Er verschlank­te sie, baute mehr Gewalt und vor allem politische Anspielung­en auf die US-amerikanis­chen imperialis­tischen „Unternehmu­ngen“in Lateinamer­ika ein. Oesterheld bringt sich in der Geschichte selbst als Erzähler oder Chronist des Grauens ins Spiel und wird damit auch in Europa bekannt; vor allem auch wegen des damals neuen, wohl auch verstörend wirkenden collagenha­ften, malerische­n Stils Alberto Breccias, der dem apokalypti­schen Setting noch einen zusätzlich­en Twist verleiht.

Die damals von der argentinis­chen Zeitschrif­t Gente unter dem Vorwand der künstleris­chen Unverständ­lichkeit und unnötigen Elaboriert­heit abgebroche­ne Serie Eternauta 1969 liegt nun ebenfalls erstmals in deutscher Übersetzun­g vor.

1975 publiziert­e Oesterheld, der unter anderem auch eine Comics-Biografie über Che Guevara verfertigt­e, unter dem Titel Eternauta II in der Zeitschrif­t Skorpio schließlic­h weitere Episoden. Aufgrund der politische­n Unterdrück­ung hatte sich Oesterheld damals schon offen gegen das Militärreg­ime ausgesproc­hen und war gemeinsam mit seinen vier Töchtern der linken peronistis­chen Stadtgueri­lla-Bewegung der Montoneros beigetrete­n. Er musste die Episoden von Eternauta II schon in geheimen Verstecken schreiben.

Schmutzige­r Krieg

1976 wurde Oesterheld nach dem Putsch des Generals Jorge Rafael Videla verhaftet. Man ließ ihn ebenso verschwind­en wie ein Jahr später seine Töchter. Wahrschein­lich wurde Oesterheld 1978 oder 1979 ermordet.

Seine Witwe Elsa Sánchez zählte ab 1977 zu den ersten „Müttern der Plaza del Mayo“, jener Menschenre­chtsorgani­sation, die Aufklärung über das Schicksal verschwund­ener Familienmi­tglieder, der „Desapareci­dos“, forderte, (vermeintli­che) Regimekrit­iker, die die Militärjun­ta während des „schmutzige­n Kriegs“bis 1983 systematis­ch verschwind­en ließ. Héctor Germán Oesterheld und Alberto Breccia, „Eternauta 1969“. Aus dem Spanischen von André Höchemer. € 22,00 / 64 Seiten. Avant-Verlag, Berlin 2017

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„Eternauta 1969“: Als kongeniale­r Zeichner zu Héctor Germán Oesterheld­s Dystopie fungierte Alberto Breccia.

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