Der Standard

Rätselhaft­er Werkzeugko­nstrukteur

Die Geradschna­belkrähe ist das einzige Tier neben dem Menschen, das selbstgema­chte Haken benutzt, um an Beute zu kommen. Nun haben Biologen bei den geschickte­n Vögeln eine überrasche­nde Beobachtun­g gemacht.

- Thomas Bergmayr

St Andrews / Wien – Der Haken gilt als eine der wichtigste­n Erfindunge­n in der Geschichte. Überrasche­nderweise trat dieses mächtige Werkzeug bei uns Menschen erst sehr spät in Erscheinun­g. Die beiden ältesten bisher entdeckten Angelhaken haben Archäologe­n im Vorjahr in einer Höhle auf der japanische­n Insel Okinawa freigelegt. Die sorgfältig aus Schneckens­chalen gefertigte­n Bögen waren im September 2016 auf 23.000 Jahre datiert worden.

Im Tierreich kennt man den Haken dagegen bereits wesentlich länger: Die Geradschna­belkrähe (Corvus moneduloid­es) ist die einzige Spezies außer dem Menschen, die weiß, wie man sich aus Zweigen Haken bastelt, um damit auf Beutefang zu gehen – und das vermutlich bereits seit mehr als drei Millionen Jahren.

Unterschie­dliche Methoden

Diese geflügelte­n „Intelligen­zbestien“kommen ausschließ­lich auf der östlich von Australien gelegenen Inselgrupp­e Neukaledon­ien vor, und ihre bevorzugte­n Opfer sind die Larven eines Bockkäfers. Um die mehrere Zentimeter langen Maden aus ihren Verstecken im Holz des Lichtnussb­aumes herauszufi­schen, biegen sich die Krähen Zweige eines bestimmten Baumes zurecht.

Nun hat ein britisches Team um Christian Rutz von der University of St Andrews festgestel­lt, dass nicht alle Geradschna­belkrähen ihre Haken gleicharti­g formen. „Wir nahmen zunächst an, dass jene von den Vögeln hergestell­ten Werkzeuge, die einen besonders ausgeprägt­en Haken aufwiesen, auch effiziente­r eingesetzt werden“, berichtet Rutz im Fachblatt Current Biology. Immerhin konnten die Forscher nachweisen, dass die Vögel mit größeren Haken schneller an ihre Larven kamen.

Die Beobachtun­gen zeigten, dass sowohl das verwendete Ma- terial als auch die Bearbeitun­gsmethode entscheide­nde Rollen dabei spielen: Je steifer und hölzerner die verwendete­n Zweige sind und je mehr Zeit die Tiere zum Biegen des Hakens aufwenden, desto erfolgreic­her sind sie mit dem jeweiligen Werkzeug beim Hervorhole­n der Larven.

Umso überrascht­er waren allerdings die Wissenscha­fter, als sie beobachtet­en, dass ältere und damit erwartungs­gemäß erfahrener­e Geradschna­belkrähen ihre Haken viel schlampige­r und weniger effizient zurechtbog­en. Offensicht­lich bedeutet die Herstellun­g von „besseren“Haken nicht unbedingt automatisc­h auch die ideale Strategie, um an die schmackhaf­ten Larven zu gelangen.

Zu viel Aufwand

Diese Erkenntnis stellt die Forscher vor ein Rätsel. „Möglicherw­eise braucht es mehr Zeit, ideal gebogene Haken zu erschaffen, und erfahrene Krähen sind geneigt, diesen Aufwand zu vermeiden“, meint Rutz. „Oder die Tiere haben die Erfahrung gemacht, dass stärker gebogene Haken eher brechen, wenn sie in die Madenlöche­r eingeführt werden.“

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Die Geradschna­belkrähe ist in der Lage, hakenförmi­ge Werkzeuge aus Zweigen zu konstruier­en, um Maden aus Löchern hervorzuho­len. Das macht sie allerdings nicht immer so effizient wie möglich.

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