Versöhnungsversuch nach Grenfell-Feuer
Ein halbes Jahr nach der Brandkatastrophe von Kensington bleibt das Misstrauen der Opfer gegenüber dem Staat groß. Immer noch wohnen viele in provisorischen Unterkünften, Lösungen sind schwer umzusetzen.
Im großen Feuer von London 1666 brannte sie nieder, deutsche Brandbomben beschädigten die prachtvoll wiederaufgebaute St.Pauls-Kathedrale im Zweiten Weltkrieg. Heute, Donnerstag, soll von dem riesigen Gotteshaus ein Zeichen innerbritischer Versöhnung ausgehen: Geladen sind die Überlebenden der Brandkatastrophe im Grenfell-Tower, ihre Nachbarn und Angehörigen. Im Rahmen eines nationalen Gedenkgottesdienstes wird ein halbes Jahr nach dem Großbrand der 71 Toten gedacht und für die Hinterbliebenen gebetet. Ist dies der Beginn eines Heilungsprozesses?
Darauf deutet wenig hin. Zwar werden Premierministerin Theresa May und Oppositionsführer Jeremy Corbyn am Trauerakt teilnehmen; auch die Royals, angeführt von Thronfolger Charles, demonstrieren ihre Solidarität. Ausdrücklich aber haben sich die Betroffenen verbeten, dass Abgesandte der Westlondoner Bezirksregierung von Kensington & Chelsea (K & C) am Gedenken teilnehmen. Vor Ort, wo ein Neuanfang am nötigsten wäre, ist davon nichts zu spüren.
Verbittert verweisen viele Betroffene darauf, dass sie noch immer keine dauerhafte Bleibe haben. Die Zahlen schwanken, aber deutlich mehr als 100 Menschen wohnen noch immer in provisori- schen Unterkünften oder Hotels. Mohammed Rasul teilt sich zwei Pensionszimmer mit Frau und zwei Kindern sowie seinem 86jährigen Vater, der an Demenz leidet. Freiwillige Helfer haben der Familie einen Kühlschrank gekauft, eine Kochgelegenheit aber gibt es nicht. „Irgendwann fühlt man sich wie ein Gefangener“, so Rasul.
Sein ganzes Leben hat der gebürtige Londoner im GrenfellTower verbracht, aus dem Bezirk will er nicht ziehen. Alle Ersatzwohnungen aber, die ihm angeboten wurden, lagen woanders. Was er der Bezirksregierung zu sagen hat? „Ihr Versagen hat den Brand verursacht. Wir haben jegliches Vertrauen verloren.“
Rasul, wie viele andere Grenfell-Bewohner, spürt tiefsitzende Wut über die jahrelange Vernach- lässigung der Sozialmieter auf lokaler Ebene: Alle Warnungen vor der Brandgefährdung des 24stöckigen Wohnhauses für rund 400 Menschen wurden ignoriert.
Mays falsches Versprechen
Am 14. Juni erlebte das Viertel schließlich die Katastrophe. Weil eine erst kurz zuvor angebrachte Verkleidung aus Polyäthylen und Aluminium als Brandbeschleuniger agierte, konnte aus dem Brand eines Kühlschranks im vierten Stock ein Inferno werden, das rasend schnell das gesamte Gebäude in Flammen hüllte. Danach gaben May und ihre Parteifreunde im Bezirk Versprechen ab, die sich bei näherer Betrachtung nicht einhalten ließen: Binnen drei Wochen würden alle Obdachlosen adäquat untergebracht werden – aber was ist schon angemessen?
Zunächst habe man mit einem Bedarf von 150 Wohnungen gerechnet, eben genau so viele wie im Tower selbst, berichtet Elizabeth Campbell, die im Juli die Leitung der Bezirksregierung übernahm. Inzwischen liege der Bedarf aber bei 300 Behausungen, denn: „In vielen Wohnungen lebten drei Generationen zusammen. Das soll nun anders werden.“Allerdings räumt Campbell ein: Nicht alle liegen in der Nähe, einige sind am anderen Ende des Bezirks.
Anders wäre das kaum zu schaffen in einem der am dichtesten besiedelten Bezirke Londons. Aber die Überlebenden wollen von solchen Argumenten nichts hören. „Es wird Jahre dauern“, fürchtet die Bezirksabgeordnete Catherine Faulks, „bis wir das Vertrauen der Leute zurückgewinnen.“