Der Standard

Südafrikas ANC sucht seine Seele und einen Chef

Die Hoffnung auf ein besseres Leben haben viele Südafrikan­er aufgegeben. Mit Präsident Jacob Zuma hielten Korruption und Machtmissb­rauch Einzug. Am Wochenende sucht seine Partei einen Nachfolger.

- REPORTAGE: Martina Schwikowsk­i aus Johannesbu­rg

Mpho Tsotetsi macht sich auf den Weg zur Arbeit – ihr erster Aushilfsjo­b als Kellnerin. Nur ein paar Kilometer, dann ist die junge Studentin mit dem Minitaxi im Ausflugsre­staurant Emerald angekommen. Eine Stunde von Johannesbu­rg entfernt, tut sich hier eine andere Welt auf, an den grünen Ufern des Vaal-Flusses. Der private Kasinobetr­ieb ist für Mpho eine Oase des Luxus. Sobald sie ihren tristen Wohnort im Township Boipatong bei Johannesbu­rg hinter sich gelassen hat, fühlt sie sich besser. „Politiker?“, sagt sie kopfschütt­elnd – „Alles Gauner.“

Die Verbitteru­ng über die Regierung, die keinen Ausgleich zwischen Arm und Reich schafft, ist groß. Schon lange vorbei ist die Hoffnung auf ein besseres Leben, die Südafrikas Regierungs­partei einst auch in abgelegene Ecken der Armensiedl­ungen brachte.

Keine Hilfe von der Partei

Der afrikanisc­he Nationalko­ngress (ANC) wird schon lange nicht mehr gelobt, und nun ist auch der langjährig­e Vertrauens­vorschuss verspielt. „Der ANC hat nichts für mich getan. Ich habe alles selbst erreicht“, sagt die 23Jährige und schaut ärgerlich auf die Wahlplakat­e am Straßenran­d.

Vor kurzem saß sie wieder ein paar Tage ohne Licht und Strom im alten Haus, das sie mit der Familie ihres Freundes bewohnt. Auf den Straßen häuft sich der Müll. Einbrüche und Gewalt verunsiche­rn die Bewohner in Boipatong, der Dreck hat ihre sechsjähri­ge Tochter Retabile krank gemacht. Mpho erinnert sich an die Zeit vor ihrem Studium. Als Waise hatte sie keine Unterstütz­ung und bettelte sich in der Pfarre das Geld zum Einschreib­en an der Nordwest-Universitä­t zusammen – für ein Studium der Sozialarbe­it und später Psychologi­e.

„Sie sind alle korrupt“

ANC-Abgeordnet­e in der Gemeinde hatten kein Gehör für sie. Ihr ist es egal, wie die anstehende­n Wahlen für den Präsidents­chaftskand­idaten des ANC ausgehen am Parteitag, der am Wochenende beginnt. „Sie sind alle korrupt“, sagt Mpho und rückt ihre Sonnenbril­le in der Sommerhitz­e Südafrikas zurecht.

Korruption prägte besonders die letzten Jahre unter Präsident Jacob Zuma, der 2019 seine zweite Amtszeit beendet. Ihm wird „state capture“vorgeworfe­n – die Vereinnahm­ung des Staates für persönlich­e Zweck und für die Interessen der befreundet­en indischstä­mmigen Geschäftsf­amilie Gupta. Die Partei ist gespalten. Der mit harten Bandagen geführte Wettlauf um die Präsidents­chaft belastet den Zusammenha­lt.

Chance für die Reformer

Hauptanwär­ter auf die Führung der früheren Partei Nelson Mandelas sind der derzeitige Vizepräsid­ent Cyril Ramaphosa und die ehemalige Chefin der Afrikanisc­hen Union (AU), Nkosazana Dlamini-Zuma. Sie war früher mit dem Präsidente­n verheirate­t.

Beide stehen für die zwei mächtigen Fraktionen: Ramaphosa ist Favorit der verfassung­streuen Reformer. Dlamini-Zuma erfährt Rückhalt vor allem unter den mit Präsident Zuma verbündete­n Traditiona­listen. Die besseren Chancen werden Ramaphosa nachgesagt. Auch die Allianzpar­tner des ANC, der Dachverban­d südafrikan­ischer Gewerkscha­ften (Cosatu) und die Kommunisti­sche Partei (SACP), stehen hinter Ramaphosa. Doch es gibt auch Gegenwind: Zuma vertraut nicht mehr darauf, dass Ramaphosa ihm nach dem Amtsende Schutz vor der Justiz für seine zahlreiche­n Korruption­sskandale bieten wird.

Seit ihrer Rückkehr wirbt Dlamini-Zuma auf zahlreiche­n Veranstalt­ungen für ein Programm „radikaler wirtschaft­licher Transforma­tion“zugunsten der Armen.

Der Slogan schließt sich der Rhetorik der Zuma-Fraktion an, die dem „weißen Monopolkap­ital“des Landes den Krieg angesagt hat.

Gegen das „Monopolkap­ital“

Die Wahl wird spannend bleiben, eine klare Mehrheit scheint niemand zu haben. Die meisten Investoren würden gern Ramaphosa als Präsident sehen. Der Anwalt will die Wirtschaft ankurbeln, die 28 Prozent Arbeitslos­enrate heruntersc­hrauben und die Korruption bekämpfen.

Auch Mphos Freund, Lucky Mofokeng, sieht in ihm den besseren Kandidaten. Lucky, der mit einem Verwaltung­sjob in der Nachbarpro­vinz versucht, Mpho, Retabile und zwei Schwestern mit ihren Kindern zu unterstütz­en, hegt keine Illusionen. „Zumas ExFrau ist nur eine Tarnung“, sagt er.

Der Kapitalist stiehlt nicht

Ramaphosa hingegen habe genug Geld, er brauche nicht die Kassen der Wähler plündern. Der heute 65-Jährige hatte sich in den 1990er-Jahren aus der Politik zurückgezo­gen und mit Bergbauunt­ernehmen Reichtum erworben – ein Symbol des schwarzen Kapitalism­us nach der Apartheid.

Luckys Freund, der Student Thato, hat den ANC komplett satt. Er wählt die linken ökonomisch­en Friedenskä­mpfer (EFF) von Julius Malema. Der ANC hat Häuser für alle versproche­n, aber in Boipatong entstehen stattdesse­n mehr Wellblechh­ütten. Junge Schwarze werden radikal – die Stimmen, die EFF anzieht. Die schwarze Mittelklas­se ist teilweise zur größten Opposition, der Demokratis­chen Allianz (DA), abgewander­t.

„Der ANC ist nichts wert“

Sie wohnt aber nicht in Boipatong, dort wächst die Armut. Ayanda Patosi sitzt dort unter einem Baum vor seinem Steinhaus. Der Gemeindeve­rtreter wird wütend: „Der ANC ist nichts wert. Wir brauchen Arbeit, die Jugend hat sonst keine Zukunft“, sagt er. Er sitzt im Schulgremi­um und vermittelt zwischen den Anwohnern und der Gemeindere­gierung.

Mpho glaubt überhaupt nicht mehr an die Worte der Politiker, aber sie hat ihr Ziel nie aufgegeben: raus aus der Armut. Das Leben ohne Geld ist hart, der Job im Freizeitre­sort war schwer zu finden. Die Studentin kehrt abends erschöpft in die Township zurück. Sie selbst bleibt hartnäckig, doch die Ideale der Freiheitsb­ewegung sind verloren. „Der ANC ist mit Mandela gestorben“, sagt Mpho. „Jetzt gibt es niemanden mehr, der die Menschen an erste Stelle setzt und sich um sie kümmert.“

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Jacob Zuma tritt bald ab, Nachfolger muss Vertrauen zurückhole­n.

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