Der Standard

„Das Lachen hat sich wie von selbst eingestell­t“

Juliette Binoche gibt in „Meine schöne innere Sonne“einfach nicht auf, den Richtigen zu suchen. Meisterreg­isseurin Claire Denis über ihre fabelhafte Tragikomöd­ie des Begehrens.

- INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh

Wien – Ein falsches Wort oder eine unvertraut­e Geste, und die Lust sackt wie ein Ballon in sich zusammen. Der Sex bringt in Meine schöne innere Sonne (im Original: Un beau soleil intérieur) nur Probleme mit sich. Die Frage, wie es sich mit der Liebe verhält, ist noch viel komplizier­ter. Regisseuri­n Claire Denis lässt in ihrem neuen, ungewohnt liebestoll­en Film eine Künstlerin an der Männerwelt laborieren. Das Begehren ist zwar groß, die Ernüchteru­ng folgt jedoch auf dem Fuße.

Denis hat erstmals in einem Langfilm mit der Schriftste­llerin Christine Angot ( Inzest) zusammenge­arbeitet, deren mitleidslo­ser Blick auf das Miteinande­r der Geschlecht­er den Film deutlich prägt. Doch Binoche und Denis verleihen ihm durch ihren spielerisc­hen Ansatz auch ein hohes Maß an Vitalität und Humor. Beidem kann man sich schwer entziehen.

Standard: Betrachten Sie „Meine schöne innere Sonne“als Komödie? Es wäre Ihre erste. Denis: Es ist eine Tragikomöd­ie. Auf jeden Fall: auch Tragödie.

Standard: Die Frage stellt sich für mich deshalb, weil es um eine Frau geht, die in ihren Beziehunge­n kein Glück findet. Es wäre ein anderer Film geworden, wenn man diese Frau nur leiden sehen würde. Denis: Ich habe das gar nicht richtig überlegt. Ich entscheide das auch nicht so. Juliette Binoche und ich waren einfach nur ehrlich. Wir wollten die Liebe ernst nehmen. Das Lachen hat sich aber wie von selbst eingestell­t. Juliette hat auch geweint. Es war recht seltsam.

Standard: Es gab auch keinen anderen Sinn für das Timing? Denis: Nein, auch nicht im Schnitt. Wir hatten 34 Fragmente, also Szenen, die wir Seite an Seite stellten. Vielleicht liegt es daran, dass es keine direkte Verbindung von einem Block zum anderen gibt: Das ergab einen eigenen Mechanismu­s.

Standard: Es gibt eine tolle Szene, bei der Juliette Binoches Figur Isabelle über die Probleme beim Orgasmus spricht – dass sie früher einmal beim „falschen“Wort („salaud“, Drecksau) gekommen sei. Denis: Das ist nicht unbedingt ein Widerspruc­h. Viele Frauen leben damit, dass es nicht richtig funktionie­rt, aber was soll’s! Einmal mag man einen Typen, aber er ist hässlich, dann ist es wieder genau die Hässlichke­it, die einem gefällt. Ich denke, beides ist möglich. Das ist wie in der Szene, in der sich Isabelle in den Schauspiel­er verliebt, was ziemlich naiv ist.

Standard: Es wird in diesem Film mehr geredet als in Ihren anderen Arbeiten, zugleich geht es gefühlsmäß­ig drunter und drüber. Ging es Ihnen um den Unterschie­d zwischen dem, was man sagt, und wie man fühlt? Um die Widersprüc­he zwischen Gesten und Sprache? Denis: Ich bin sehr simpel, wenn ich einen Film drehe. Ich denke nicht, dass die Wörter den Platz von Gesten einnehmen, denn da würde ich mich komplett verlieren. Ich nehme vielmehr alles als das an, was es ist: die Haare, die Räume, die Wörter, die in den jeweiligen Szenen notwendig sind. Wenn ich mich dazu entschiede­n hätte, einen Film mit mehr Wörtern als bisher zu machen, wäre ich erledigt. Daher machte ich den Film genauso wie immer, nur mit dem Unterschie­d, dass die Leute diesmal mehr reden. Körper sind aber auch sehr gegenwärti­g.

Standard: Vom ersten Bild an, einem eher ungünstig verlaufend­en Liebesakt. Denis: Ja, es gab wirklich keine Theorie, außer der, zu genießen, was Christine Angot schrieb. Und wie Juliette und all die Männer ihr Interesse von der Wahl der Wörter abhängig machen.

Standard: Wie hat diese Kollaborat­ion mit Angot begonnen? Es gab ja auch das Projekt über Roland Barthes’ „Sprache der Liebe“. Denis: Ich bin eine begeistert­e Leserin von Angot, und irgendwann habe ich bemerkt, dass sie oft in meinen Filmvorfüh­rungen saß. Auf dem Festival in Avignon sah ich dann einmal eine szenische Lesung zweier Einakter von ihr. Alex Descas, mit dem ich oft gearbeitet habe, war auch dabei. Nachher sagte ich zu ihr, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte diese Lesung filmen. Christine schaute mich an und sagte, was ich bräuchte. Und ich sagte, gar nichts, die Gewalt dieser Beziehung genügt. Sie dachte, ich mache einen Witz. Als ich dann in der Kunstschul­e Le Fresnoy war, haben wir einen ersten Kurzfilm gemacht – in einem leeren Studio, nur mit zwei Schauspiel­ern.

Standard: Und die Barthes-Idee? Denis: Die kam vom Produzente­n Olivier Delbosc, es sollte eigentlich mehrere Regisseure geben. Ich war nicht interessie­rt, sagte ihm aber, ich könnte etwas mit Angot machen. Ein Originaldr­ehbuch. Binoche bekam davon Wind und wollte gleich mitmachen.

Standard: In Cannes, wo der Film Premiere hatte, sagten manche, die Figur würde zu stark durch ihr Begehren gegenüber Männern definiert. Was sagen Sie zu solcher feministis­ch inspiriert­er Kritik? Denis: Isabelle wird durch ganz viele Dinge definiert. Aber mir ist das eigentlich egal, was feministis­ch ist und was nicht. Ich denke, es gibt immer Gründe für Kritik. Ich wurde lange dafür kritisiert, dass meine Filme von Männern handeln. Da war ich auch schon nicht feministis­ch genug. Ein Film ist ein Film, kein Statement über die Lage der Frau auf der Welt.

Standard: In „White Material“haben Sie mit Isabelle Huppert gearbeitet. Und nun Binoche: „Libération“nannte sie „die beiden Ungeheuer des französisc­hen Kinos“… Denis: (lacht) Das sind keine Monster, sondern intelligen­te Schauspiel­erinnen. Das ist etwas anderes! Sie sind einfach neugie- rig. Sie wollen etwas, sie suchen nach etwas. Es ist sogar leichter, mit ihnen zu arbeiten. Aber Gérard Depardieu? Gérard ist wirklich ein Monster.

Standard: Er ist in der letzten Szene des Films als Wahrsager zu sehen. Er hat Binoche einmal jedes Talent abgesproch­en. Denis: Sie haben sich ohne mich getroffen, um das zu klären. Ich wollte da nicht dabei sein.

Standard: Binoche hat viele Seiten bei Ihnen. Einmal, wenn sie in der U-Bahn die Haare nach hinten verknotet hat, sieht sie sehr jung aus. Denis: Ja, fast wie ein Kind.

Standard: Denkt man als Regisseuri­n dabei auch an frühere Rollen? Denis: Gar nicht. Figuren bleiben auf dem Papier noch wenig plastisch. Die sexy Frau muss man beim Spielen zulassen. Es ist seltsam, wie schöne Frauen darauf manchmal vergessen. Umgekehrt sollte Juliette nicht die Königin der Show sein, deswegen habe ich alle Männer außer einen nicht mit Schauspiel­ern besetzt, sondern mit Künstlern und Musikern – damit sie diese auch anders sieht.

CLAIRE DENIS (71) ist eine der renommiert­esten Filmemache­rinnen und ließ erzähleris­che Konvention­en oft hinter sich . Bekannt u. a. für „Chocolat“„Beau Travail“und „L’intrus“. Ab Freitag im Kino Das Interview fand mit Unterstütz­ung des Verleihs in München statt.

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Die Sehnsucht nach männlicher Nähe kann erschöpfen: Juliette Binoche in Claire Denis’ „Meine schöne innere Sonne“.
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Foto: AFP Ein Film sei ein Film, kein Statement, sagt Claire Denis.

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