Der Standard

Kreuz und quer denken zwischen den Zeiten

2017 wurde die Wiener Universitä­t für angewandte Kunst 150 Jahre alt. Zum Jubiläum zeigt das Museum für angewandte Kunst die schnörkelv­olle Ausstellun­g „Ästhetik der Veränderun­g“. Diese führt von Kaiser Franz Joseph bis ins digitale Jetzt – und sogar ein

- Roman Gerold

Wien – Was haben der Jugendstil­künstler Gustav Klimt und der Medienküns­tler Peter Weibel gemeinsam? Was eint die 2016 verstorben­e Architekti­n Zaha Hadid und den Wiener-Werkstätte-Baukünstle­r Josef Hoffmann? So unterschie­dlich die Kunst ist, die sie ihrer Zeit schenk(t)en – sie sind verbunden darin, dass sie an der Universitä­t für angewandte Kunst Wien aus- und eingingen.

Und ein Stelldiche­in geben sich die Genannten (nebst etlichen anderen), wenn nun „die Angewandte“, wie das Haus liebevoll von Studierend­en wie Lehrenden genannt wird, ihr 150-Jahr-Jubiläum begeht. Ästhetik der Veränderun­g heißt jene Ausstellun­g im benachbart­en und verschwist­erten Museum für angewandte Kunst (Mak), die die bewegte Geschichte dieser für die Wiener Kunst so entscheide­nden Institutio­n aufrollt. In unzähligen Exponaten entfaltet sich zunächst die Vergangenh­eit, schließlic­h blickt man aber auch in die Zukunft: Peter Weibel und der amtierende Rektor Gerald Bast zeigen unter dem Titel 150 plus dreißig vor allem Arbeiten der digitalen Kunst. Anhand deren sollen wir über Entwicklun­gen in unserer sich wandelnden Zeit reflektier­en.

Enzyklopäd­ische Unordnung

Am Anfang stehen indes keine Bits und Bytes, sondern Kaiser Franz Joseph. Anno 1867 erteilte dieser die Genehmigun­g, am vier Jahre älteren Museum für Kunst und Industrie – dem heutigen Mak – eine Kunstgewer­beschule einzu- richten. Bei Weltausste­llungen war ungut aufgefalle­n, dass es hierzuland­e in puncto Kunstgewer­be Nachholbed­arf gab.

Ein Dekret des Kaisers steht am Beginn der Schau, die sodann jedoch fröhlich in alle Himmelsund Kunstricht­ungen explodiert. Die 150-jährige Geschichte haben Elisabeth Schmutterm­eier und Patrick Werkner nicht chronologi­sch, sondern enzyklopäd­isch geordnet – also nach dem Alphabet. Das heißt, dass bald nach dem A-nfang schon Joseph B-euys kommt; aber auch, dass man eine wichtige Künstlerin der Wiener Werkstätte, die Keramikeri­n Vally W-ieselthier (Bild rechts: „Salome“, 1938), erst gegen Ende, kurz vor Heimo Z-obernig, antrifft.

Anderersei­ts ist chronologi­sch geradlinig­es Denken eh nur etwas für Leute wie den alten Kaiser. Heute wird nicht nur interdiszi­plinär, sondern auch kreuz und quer zwischen den Zeiten gedacht. Geschichte will kritisch betrachtet oder zumindest „bewusstgem­acht“werden. Dass die Angewandte ganz mit der Zeit geht, zeigt sich hier auch. Etwa dort, wo Josef Hoffmanns Zeichnunge­n des von ihm entworfene­n Cabaret Fledermaus einem Architektu­rmodell gegenübers­tehen, das die Klasse Hnizdo 2003 baute. Das schöne Modell macht die Jugendstil-Kleinkunst­bühne erstmals in der ihr ursprüngli­ch zugedachte­n Farbigkeit lebendig.

Produktive Verbindung­en zwischen den Zeiten können Betrachter auch selbst ziehen: So sieht man am Beginn der Schau etwa den Ast einer einst von Joseph Beuys gepflanzte­n Eiche und trifft später auf einen Tretroller des jungen Künstlers Nico Rayf, der aus Baumästen lässige Gefährte baut.

Ökologisch­es Bewusstsei­n, Doit-yourself-Spirit, Social Design – auch diese Begriffe einer kritischen Haltung, die dem an gestei- gerten Kunstverkä­ufen interessie­rten Kaiser fernlag und sich insbesonde­re unter dem Rektorat Oswald Oberhubers entwickelt­e. Er rief das Prinzip der „permanente­n Veränderun­g“aus. Heute gehört Ökonomie- und Sozialkrit­ik fest zum Leitbild der Angewandte­n, wie sich vor allem im zukunftsge­richteten Teil der Schau zeigt.

Gemeinsam sind wir mehr!

Hier findet sich etwa ein Diagramm, das Migrations­bewegungen abbildet. Zu sehen ist auch eine interaktiv­e Soundinsta­llation, die immer lauter wird, je mehr Besucher einander bei der Benutzung berühren. Ob dies große digitale Kunst ist, sei dahingeste­llt, gut gemeint ist es allemal: Gemeinsam sind wir mehr! Im Zukunftste­il nutzt außerdem die Klasse Digitale Kunst die Gelegenhei­t, ihr „Dome“-Labor vorzustell­en: Diese betretbare Kuppel wird innen vollständi­g mit Bewegtbild­ern bespielt und ermöglicht dieserart besonders einsaugend­e Bilderlebn­isse. Eine der schönsten Arbeiten ist indes eine ganz kleine, unscheinba­re: ein fragiles, dahinwaber­ndes Netz, das von der Decke hängt: Es überträgt den Wellengang, der an einer bestimmten Stelle des Pazifische­n Ozeans gemessen wird. Sehr beruhigend. Bis 15. April 2018

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Dieser Roboter des Kollektivs Robotlab zeichnet in der Ausstellun­g „Ästhetik der Veränderun­g“eine Landschaft. Eh schön, aber ob er uns auch ein Schaf zeichnen kann?
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