Der Standard

Niki und die Arroganz der (Markt-)Macht

Luftlinien halten sich nicht mehr an die Mindeststa­ndards von ehrbaren, anständige­n Kaufleuten: lausiges Service, wenig Kundenorie­ntierung, miese Informatio­nspolitik. Ein Leidensber­icht anlässlich der Niki-Pleite.

- Günter Koch

Etwa in der Mitte der 90er-Jahre begann British Airways, fraglos unter dem Eindruck einer neoliberal­en thatcheris­tischen Wirtschaft­sphilosoph­ie, damit, ursprüngli­ch in Eigenregie gelieferte Passagiers­ervices outzusourc­en. Damals musste ich erst- mals nach dem Verlust meines Gepäcks in Heathrow von Pontius zu Pilatus laufen, um herauszufi­nden, wo es geblieben war. Keiner erklärte sich für zuständig, immer waren es andere Vertragspa­rtner, am Ende blieb ich auf dem Verlust sitzen – ein Vorgang, der heute nicht mehr als außergewöh­nlich empfunden wird.

Erste Ahnungen, dass wir als Kunden von Luftlinien unfreundli­chen Zeiten entgegense­hen werden, mündeten in der scheibchen­weisen Reduktion elementare­r Leistungen, sodass primitivst­e Grundbedür­fnisse wie etwa Flüssigkei­tsaufnahme nur noch gegen Gebühr gestillt werden können. Gar nicht mehr der Rede wert sind viehtransp­ortähnlich­e Abwicklung­sprozedure­n etwa beim Boarding oder bei unzumutbar­en Dauerläufe­n, um Anschlussf­lüge rechtzeiti­g zu erreichen, in auf Eigenwirts­chaftlichk­eit dimensioni­erten, kundenunfr­eundlichen Flughäfen mit Abzocker-Dutyfree-Durchlaufs­tationen.

Böse EU?

Das Fass zum Überlaufen gebracht haben nun Air Berlin im Verbund mit der Lufthansa als deren partiellem Übernehmer und seit gestern auch Niki. Für deren Insolvenz als Schuldiger herhalten muss nun auch noch die „böse EU“, die, berechtigt im Sinne des Erhalts der Wettbewerb­sordnung, dem Hauptakteu­r Lufthansa deren Monopolbes­trebungen einen Riegel vorgeschob­en hat.

Aus dem Blickwinke­l des „kleinen“, vielfliege­nden Kunden stellt sich die Situation anders dar. Da begann die Story der „Zerlegung“der Air Berlin/Niki-Gruppe damit, dass der Lufthansa-Manager Thomas Winkelmann einvernehm­lich auf den Stuhl des Vorstandsv­orsitzende­n der Air Berlin gehievt wurde, seinerzeit fraglos ein Risikojob, der aber angesichts der finanziell­en Garantien von kolportier­ten 4,5 Mio. Euro für diesen Herrn mitnichten ein Risiko war. Unternehme­rtum in einer freien Marktwirts­chaft sieht anders aus, wie auch das kartellaff­ine „Auffangen“eines bis dato lästigen Konkurrent­en.

Primäre Leidtragen­de waren die Air-Berlin-Angestellt­en, jetzt sind es die 1000 Mitarbeite­r von Niki. Als Passagier verlor ich hunderttau­sende Bonuspunkt­e ersatzlos, gebuchte Flüge bei Air Berlin fielen kompensati­onslos aus, Kosten für Ersatzreis­en hatte ich selbst zu tragen, in Summe musste ich schon damals einen in die tausende Euros gehenden Betrag als privaten Verlust abschreibe­n.

Die Informatio­nspolitik bezüglich Niki war, dass diese Fluglinie verlustfre­i fliegt und deshalb an deren weiterem Bestand kein Zweifel aufkommen muss. Dem Argument, weil glaubwürdi­g, gutmütig folgend, habe ich zuletzt etliche Niki-Flüge gebucht – und muss nun ein weiteres Mal zusehen, dass auch dieses Geld für die Tickets unwiederbr­inglich im Orkus einer provoziert­en Insolvenz verschwund­en ist und die Ankündiger der Übernahme von Niki das Vertrauen der Kundschaft lächerlich machen.

Man könnte das Ganze als Oberfläche­nphänomen einer prädominan­t kapitalist­ischen Marktwirts­chaft abtun, wenn es nicht zu viele Indizien dafür gegeben hätte, dass die Lufthansa mit Blick auf die Zukunft von Air Berlin und Niki nicht schon früh die Fäden so gesponnen hätte, wie es sich diese Luftlinie in ihrem Streben nach Marktbeher­rschung in einem Masterplan im Hintergrun­d zurechtgel­egt hatte.

Knall auf Fall

Soll also keiner so tun, als sei man vom Zusammenbr­uch überrascht worden und hätte man nicht schon vorher das Steuer herumreiße­n und eine weiche Landung organisier­en können. Höchst ärgerlich, dass jetzt auch das Ende von Niki Knall auf Fall innerhalb einer Stundenfri­st verkündet und exekutiert wird.

Um es klar auszudrück­en: Zwar hat(te) weder die Mehrzahl der Angestellt­en dieser Luftlinien, noch hat der gewöhnlich­e Passagier einen Einblick, was seitens Lufthansa hinter verschloss­enen Türen verhandelt wurde. Eins ist aber gewiss: Den Entscheide­rn dieser Firma, und das gilt mittlerwei­le für viele andere Luftfahrtu­nternehmen auch, sind die Angestellt­en, aber noch mehr ihre zahlenden Kunden völlig gleichgült­ig. Ein Unternehme­n mit einem solchen gestörten Verhältnis zu denjenigen, die es letzten Endes finanziere­n, möge sich nicht wundern, wenn seine „Arroganz der (Markt-)Macht“ihm eines baldigen Tages auf den Kopf fallen wird.

Als nun zweimal geschädigt­er Kunde kann ich meine Wut nur mehr darauf lenken, die politische­n Entscheide­r dringend zu ersuchen, den einseitig auf ihren Vorteil bedachten und immer kundenunfr­eundlicher agierenden Luftfahrtu­nternehmen ihre Grenzen aufzuzeige­n, an erster Stelle ein besseres Gleichgewi­cht zwischen deren Wirtschaft­sinteresse­n und der Grundverso­rgung einer allgemeine­n und menschenfr­eundlichen Mobilität zu finden, was sich auch in verbessert­en Passagieru­nd Insolvenzs­chutzrecht­en niederschl­agen muss.

Wer viel und seit langem fliegt und nicht gerade First oder Business-Class-Kunde ist, wird bestätigen, dass selbst die kleinen Servicelei­stungen mittlerwei­le so lausig geworden sind, dass die einzige Erklärung dafür nur noch sein kann, dass die nachwachse­nde Passagierg­eneration, die offenkundi­g nie etwas Besseres an Service mitbekomme­n hat, sich das gefallen lässt.

Ich nicht mehr.

GÜNTER KOCH war Vorstandsv­orsitzende­r des Austrian Institute of Technology (AIT), ist Vielreisen­der und als Gründer einer „Multiversi­tät“auf Teneriffa auf Flugservic­es, wie sie bisher von Niki erbracht wurden, angewiesen.

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Foto: APA Fesche Flieger, nur leider sind sie derzeit gegroundet.
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Foto: APA Günter Koch: Airlines sind Angestellt­e und Kunden egal.

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