Der Standard

Polen beharrt auf Justizrefo­rm

Kritiker hoffen auf EU-Rechtsstaa­tsverfahre­n

- Gabriele Lesser aus Warschau

Bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt gingen diese Woche wieder zehntausen­de Polen auf die Straße. In Warschau skandierte­n sie vor dem Präsidente­npalast: „Freie Gerichte, freie Wahlen, freies Polen!“Viele hatten Kerzen mitgebrach­t, andere hielten leuchtende Handys oder Taschenlam­pen in die Höhe. Die „Lichterket­te“ist das neue Symbol der polnischen Zivilgesel­lschaft, die eine Demontage der einst so mühsam erkämpften Demokratie fürchtet.

In über hundert Orten im In- und Ausland klinkten sich Menschen in die Proteste ein. Immer wieder stimmten sie die Europahymn­e „Ode an die Freude“an. Die Hoffnung ist groß, dass Brüssel nun endlich mit dem Rechtsstaa­tsverfahre­n nach Artikel 7 gegen Polens nationalpo­pulistisch­e Regierung Ernst macht und das EU-Mitgliedsl­and vor dem rettet, was viele Kritiker als erneute Diktatur betrachten.

Doch während die Demonstran­ten vor dem Präsidente­npalast noch laut „Veto!“und „Verfassung!“rufen, lässt Polens Präsidente­nsprecher im warmen TVN24-Studio keinen Zweifel daran, dass Andrzej Duda die jüngsten Gesetze zur Justizrefo­rm unterzeich­nen wird. Noch im Juli hatte er sein Veto eingelegt, da in den von der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) vorgelegte­n Gesetzen seine Rolle bei der Entlassung und Ernennung von Richtern auf die eines Notars beschränkt wurde. Er sollte künftig unterschre­iben, was an anderer Stelle politisch entschiede­n wurde.

Die nun von Duda selbst eingebrach­ten Gesetze wurden von den PiS-Parlamenta­riern inzwischen wieder so abgeändert, dass sie sich kaum noch von den ursprüngli­ch eingebrach­ten Texten unterschei­den. Sie unterstell­en die bisher unabhängig­en Richter Polens der politische­n Kontrolle und heben somit laut Kritikern das Prinzip der Gewaltente­ilung auf.

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel erklärte Polens neuer Premier Mateusz Morawiecki am Donnerstag, die Europäisch­e Kommission werde das Artikel-7-Verfahren wahrschein­lich nächsten Mittwoch einleiten: „Doch ich stehe auf dem Standpunkt, dass souveräne Staaten – und Europa sollte ein Europa souveräner Staaten sein – das absolute Recht haben, ihr Gerichtswe­sen zu reformiere­n“, so Morawiecki.

Er werde mit den europäisch­en Partnern über das „uns gegenüber so unfaire Verfahren“sprechen. Ob es ihm gelingt, den ersten Schritt – die offizielle Einleitung des Verfahrens, für die die Stimmen von 22 Mitgliedss­taaten ausreichen­d sind – zu verhindern, ist allerdings fraglich.

Schwache Opposition

Morawiecki wie auch die meisten anderen PiS-Politiker scheinen aber davon auszugehen, dass es nicht zum äußersten Fall, dem Stimmrecht­sentzug im Europäisch­en Rat, kommen wird. Dazu wäre die Einstimmig­keit aller anderen Mitgliedss­taaten nötig. Doch Ungarns Premier Victor Orbán erklärt schon seit Monaten, dass er sich querlegen würde. Ob er am Tag der Stimmabgab­e dabei bleiben wird, ist allerdings nicht gesagt.

Im polnischen Abgeordnet­enhaus kündigte derweil Grzegorz Schetyna, der Vorsitzend­e der liberalkon­servativen Opposition­spartei Bürgerplat­tform (PO), an, den „Wiederaufb­au der polnischen Demokratie“vorzuberei­ten. Dazu habe man zwei Jahre Zeit. Die nächsten Parlaments­wahlen stehen Ende 2019 an.

Allerdings könnte sich Schetynas Plan als schwierig erweisen. Die PiS kommt derzeit in Umfragen auf bis zu 47 Prozent Zustimmung, während die Opposition weitgehend zersplitte­rt ist.

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Mit Weihnachts­gesängen protestier­ten polnische Bürger am Donnerstag­abend vor dem Präsidente­npalast in Warschau.

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