Der Standard

Millionens­chäden durch Graffiti in Wien

Der Strafproze­ss wegen Sachbeschä­digung gegen einen 32-jährigen Sprayer zeigt, dass die künstleris­che Selbstverw­irklichung teuer kommt. Allein die Wiener Linien kosten Graffiti 2,5 Millionen Euro.

- Michael Möseneder

Wien – „Sie sind jetzt schon in einem Alter, das ist kein Lausbubens­treich mehr“, ermahnt Richterin Katharina Adegbite-Lewy den Angeklagte­n Michael K., der sich wegen schwerer Sachbeschä­digung vor ihr verantwort­en muss. „Und was Sie schön finden, finden andere nicht schön“, sagt sie dem 32-Jährigen. Der Gegenstand der Überlegung zu Geschmack: die Graffiti, mit denen K. sich in Wien verewigt hat.

„SPK23“nannte sich der Unbescholt­ene, der in der Vergangenh­eit bei Gericht dreimal mit einer Diversion davongekom­men war. Die Abkürzung steht laut K. nicht für das Stadtpoliz­eikommando Liesing, sondern für „Speaker“. Stilisiert­e Lautsprech­erboxen, die auf Englisch Speaker heißen, waren auch ein bevorzugte­s Motiv, manchmal versehen mit Botschafte­n. „Catch me if You can“(Fangt mich, wenn Ihr könnt, Anm.) beispielsw­eise oder „All Cops are Babys“(Alle Exekutivbe­amten sind Babys, Anm.), eine freundlich­ere Abwandlung von „All Cops are Bastards“.

Eigentlich habe er mit der illegalen Selbstverw­irklichung schon abgeschlos­sen gehabt, verrät der Arbeitslos­e. Vor eineinhalb Jahren war er bei einer Galerie für Street-Art tätig. „Das ist nicht so gut gelaufen“, sagt er, um später zu präzisiere­n, dass er die Arbeit dort unfreiwill­ig aufgegeben habe. Danach sei er von November 2016 bis Oktober 2017 wieder mit Sprühdose und Lackstift aktiv geworden. „Eigentlich immer, wenn mir etwas Blödes passiert, mach’ ich es.“

Alleine ist er damit nicht, genaue Zahlen sind aber rar, zeigt ein Rundruf des Standard. Bei der Wiener Polizei verfügt man über keine eigenen Zahlen bezüglich Graffiti-Anzeigen, bedauert Sprecher Patrick Maierhofer. Im System würden diese Delikte einfach unter Sachbeschä­digung abgespeich­ert.

Leichter ist zu eruieren, welche finanziell­en Auswirkung­en das künstleris­che Hobby bei den Wiener Linien hat. Im Vorjahr waren es 2,5 Millionen Euro, sagt Sprecher Daniel Amann. Die Reinigungs­kosten des fahrenden Materials und der Stationen machen aber nur rund zehn Prozent der Summe aus. Der Rest sei der Aufwand, der nach den Aktionen entsteht – denn: „Wir fahren mit beschmiert­en Zügen nicht aus.“

Bei Dienstantr­itt kontrollie­ren die Fahrer, entdecken sie Nichtserie­nmäßiges, muss ein Ersatzzug kommen. „Wir müssen also Züge in Vorrat haben, es entstehen Verspätung­en und zusätzlich­e Arbeitszei­t, da der beschmiert­e Zug zur Reinigung gebracht werden muss“, erläutert Amann.

Gründe für Ausfahrsto­pp

Drei Gründe gibt es für diese Politik. „Die Sprayer wollen ja, dass ihre Werke in der Öffentlich­keit zu sehen sind, daher bringen wir sie nicht auf die Strecke.“Zweitens würden internatio­nale Studien zeigen, dass die Mehrheit der Passagiere neue Lackierung­en nicht goutiert, weitere Beschädigu­ngen würden meist folgen. Und drittens gebe es Sicherheit­saspekte: Fahrer müssten freie Sicht durch die Scheiben haben und beispielsw­eise die Feuerwehr Aufschrift­en an der Außenseite erkennen können.

Im Gerichtssa­al, beim Prozess gegen Michael K., macht ein Zeuge der Wiener Linien deutlich, dass manche Kosten nicht auf den eigenen Regeln wachsen. Denn die Graffitibe­seitigung bei denkmalges­chützten Gebäuden wie etwa Otto Wagners ehemaligen Stadtbahns­tationen sei deutlich aufwendige­r. „Das können wir nicht einfach übermalen. Das ist Sandstein, das muss mit eigenen Verfahren gereinigt werden.“

Der Angeklagte hat auch insofern Pech, als er bei einem Teil seiner Aktionen davon ausging, im Recht zu sein. Wie ein Zeuge der Stadt Wien bestätigt, gibt es seit Jahren öffentlich­e Flächen, an denen man sich austoben kann, „Wienerwand“nennt sich das Projekt. Unter anderem am Donaukanal. Nur: Wo genau die Grenze zwischen legal und illegal verläuft, ist vor Ort nicht immer erkenntlic­h.

Bei einem Aufgang der Rossauer Brücke, just beim Landeskrim­inalamt, hat „SPK23“sich beispielsw­eise auch zu bereits vorhandene­n Bildern gesellt. Was nicht erlaubt war. Verteidige­r Ernst Schillhamm­er erfährt vom Zeugen der Wiener Linien übrigens Interessan­tes: Gereinigt werde nur der „SPK“-Schriftzug, da man hier vom Verursache­r den Schaden nun zurückford­ern könne. Der Rest der bunten Fläche bleibt unangetast­et.

Bei der Stadt Wien kann man nicht sagen, wie hoch die Kosten für die Graffitien­tfernung sind. Mehr Daten haben wiederum die ÖBB, allerdings für ganz Österreich, wie Sprecher Roman Hahslinger bekanntgib­t. Im Vorjahr wurden 1172 Reisezugwa­gen besprüht, der Schaden betrug rund eine Million Euro.

Auch für Michael K. wird es teuer werden, wie Verteidige­r Schillhamm­er im Schlussplä­doyer klar ist: „Der Schadeners­atz wird ihm wahrschein­lich mehr wehtun als die Vorstrafe.“Zuvor hat Schillhamm­er seinem Mandanten noch eine rhetorisch­e Frage gestellt: „Wäre es angebracht, auch abseits der Kreativbra­nche nach einem Job zu suchen?“– „Ja“, so die kleinlaute Antwort.

Richterin Adegbite-Lewy ist jedenfalls überzeugt davon, dass der Angeklagte einen Bewährungs­helfer braucht, der ihm hilft, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Ihr rechtskräf­tiges Urteil: sechs Monate bedingt, über zehntausen­d Euro Schadeners­atz spricht sie den Eigentümer­n der Flächen zu, die „SPK23“zur Arbeit nutzte. Um die Stadt zu „verzieren“, wie er sagte.

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Just bei einem Aufgang zum Wiener Landeskrim­inalamt wurde „SPK23“ebenfalls illegal aktiv.

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