Der Standard

„Es braucht sich niemand zu fürchten“

Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache erklären im Interview ihre Vorhaben: Den Ländern soll die Kürzung der Mindestsic­herung vorgeschri­eben werden. Eine erste Steuerentl­astung soll zwei Milliarden Euro ausmachen.

- INTERVIEW: Gerald John und Michael Völker

STANDARD: Die ÖVP hat acht Ressorts, die FPÖ nur sechs. Ist das eine Regierung auf Augenhöhe? Kurz: Die Koalitions­verhandlun­gen haben stets auf Augenhöhe und in einem respektvol­len Umgang stattgefun­den. Genau so wollen wir das in den fünf Jahren der Regierungs­arbeit anlegen. Das Wahlergebn­is hat einen gewissen Unterschie­d zwischen ÖVP und FPÖ gebracht, insofern ist es legitim, dass wir mehr Personen in der Regierung stellen. Wenn man sich aber das Gesamtpake­t anschaut, sowohl inhaltlich als auch personell, finden sich hier beide Partner deutlich wieder. Strache: Wir sind weder stärkste Partei, noch haben wir die absolute Mehrheit, wir sind drittstärk­ste Kraft geworden. Auf Basis dessen haben wir sehr respektvol­l und auf Augenhöhe die Verhandlun­gen geführt.

STANDARD: Sie haben die Ressorts bekommen, die Ihnen wichtig sind? Strache: Richtig. Es war uns ein Anliegen, den Bereich Sicherheit, Soziales und Arbeit sicherzust­ellen. Als Spiegelres­sort zum Finanzmini­sterium haben wir auch das Infrastruk­turressort. Im Finanzmini­sterium haben wir einen exzellente­n Staatssekr­etär. Umgekehrt hat die ÖVP eine Staatssekr­etärin im Innenresso­rt. Zudem ist der öffentlich­e Dienst in meinem Ressort gelandet. Man kann also von Ausgewogen­heit reden.

STANDARD: Ist Karoline Edtstadler als Staatssekr­etärin die türkise Aufpasseri­n im blauen Innenminis­terium? Kurz: Edtstadler ist Staatsanwä­ltin, war zuletzt am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte, sie ist eine absolute Powerfrau. Sie wird im Sicherheit­sbereich ihren Beitrag in dieser Regierung leisten, aber auch unsere starke Stimme als Volksparte­i im Bereich Sicherheit sein. Strache: Weder Fuchs noch Edtstadler werden Aufpasser sein. Das wird eine gute Zusammenar­beit auf allen Ebenen sein.

STANDARD: Klare Kompetenze­n gibt es keine für die Staatssekr­etäre? Kurz: Es wird für beide klare Kompetenzf­elder geben, aber darüber hinaus hat ein Staatssekr­etär natürlich die Möglichkei­t, im gesamten Ministeriu­m präsent zu sein

und mit dem Minister gemeinsam zu arbeiten.

STANDARD: Es gibt massive Bedenken dagegen, dass die FPÖ mit Innenminis­terium und Landesvert­eidigung beide Sicherheit­sressorts führt, dass alle bewaffnete­n Einheiten und Nachrichte­ndienste damit in einer Hand sind. Strache: Es braucht sich niemand zu fürchten. Grund dazu gab es auch in der Vergangenh­eit nicht, als etwa unter Kreisky diese Ressorts in Händen einer Partei waren. Es sind zwei unterschie­dliche Persönlich­keiten in Ministerve­rantwortun­g. Bedenken sind nicht angebracht, aber wir haben uns sehr wohl Gedanken gemacht, wie man die Situation entkrampfe­n kann. Wir werden deshalb im Bundesmini­sterienges­etz sicherstel­len, dass die Dienste, sowohl die militärisc­hen Dienste als auch der Verfassung­sschutz, dem Bundeskanz­ler, dem Vizekanzle­r und natürlich dem Bundespräs­identen regelmäßig berichten müssen. Über diese Berichtspf­licht hinaus wollen wir den Rechtsschu­tzbeauftra­gten mit Verfassung­smehrheit in Richtung Kanzler und Vizekanzle­r verlagern.

STANDARD: Hat der Präsident nicht darauf gedrängt, Inneres und Verteidigu­ng anders zu vergeben? Kurz: Das war kein Thema beim Bundespräs­identen. Strache: Wir haben mit dem Bundespräs­identen eine respektvol­le Gesprächse­bene. Er hat den Wunsch geäußert, dass Innenund Justizress­ort nicht in der Hand einer Partei sind. Dem sind wir nachgekomm­en. Grundsätzl­ich steht eines fest: Jede demokratis­ch gewählte Partei, die im Hohen Haus sitzt, ist fähig, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Keine Partei ist nur partiell regierungs­fähig, um das einmal klar auszusprec­hen.

STANDARD: Ein Herzstück des Regierungs­programms ist die Steuerentl­astung. Wie viele Milliarden schweben Ihnen wirklich vor? Kurz: Wir werden die Entlastung in Österreich schrittwei­se zustande bringen. Das Volumen hängt natürlich ein Stück weit von den Reformen ab, die uns gemeinsam gelingen, und natürlich auch von der Entwicklun­g der Konjunktur. Im ersten Schritt wollen wir Ein- kommen, die unter 1900 Euro brutto liegen, entlasten, im zweiten Schritt werden wir den Familienbo­nus einführen – eine starke steuerlich­e Entlastung von 1500 Euro pro Kind für Familien, die Steuern zahlen.

Standard: Im Koalitions­pakt fehlen die zwölf Milliarden, die Sie beide als Entlastung versproche­n haben. Sind Sie draufgekom­men, dass das nicht so realistisc­h war? Kurz: Was wir im Wahlkampf angekündig­t haben, findet sich auch so in unserem Regierungs­programm. Unser großes Ziel war immer, die Steuer- und Abgabenquo­te in Österreich in Richtung 40 Prozent zu senken – dann wären wir auf deutschem Niveau. Das wird möglich sein durch einen schlankere­n Staat, der im System spart, damit bei den Menschen wieder mehr ankommt. Bis zum Ende der Legislatur­periode möchten wir dieses Ziel erreicht haben. Strache: Das heißt natürlich auch, die Schuldenqu­ote weiter nach unten zu treiben. Es sind kleine Schritte notwendig, um irgendwann auf den Berggipfel zu kommen, wir sind uns der schwierige­n Aufgabe bewusst. Das Gesamtvolu­men von zwölf Milliarden bleibt etwas, das wir uns wünschen – ob das dann auch gelingt, ist eine andere Frage. Wir haben aber eines von vornherein festgemach­t: Wir werden sehr rasch mit den ersten konkreten Steuerentl­astungen beginnen. Deren Volumen wird in etwa bei zwei Milliarden liegen. Zu diesem ersten Schritt gehört auch die Anhebung der Mindestpen­sion auf 1200 Euro netto für jene, die 40 Jahre lang gearbeitet und eingezahlt haben.

Standard: Sie sprechen ständig von den kleinen Einkommen. Doch tatsächlic­h haben 1,5 Millionen Menschen mit kleinen Einkommen nichts von Ihren Steuerplän­en, weil sie keine Lohn- und Einkommens­teuern zahlen, sondern vor allem Sozialbeit­räge. Für die gibt es keine Entlastung. Vom Kinderbonu­s sind Niedrigver­diener dezidiert ausgeschlo­ssen. Kurz: Das ist unrichtig, wir haben vor, die Sozialvers­icherungsb­eiträge für die kleinsten Einkommen zu senken. Das haben wir im Wahlkampf angekündig­t, so ausverhand­elt, das findet sich nun auch im Programm. Strache: Vielleicht ist es unbeachtet geblieben, aber wir haben es so festgelegt, schriftlic­h definiert.

Standard: Im Programm steht nur etwas von der Senkung der Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung. Doch die sind für Einkommen über 1342 Euro brutto im Monat schon jetzt null. Vielen, die etwa Teilzeit arbeiten, bringt das nichts. Kurz: Bei jenen Menschen, die Vollzeit arbeiten, handelt es sich bei 1300 Euro brutto im Monat um die kleinsten Einkommen. Die werden bis zu einer Höhe von 1900 Euro im Monat entlastet. Strache: Das sind im Jahr 350 bis 500 Euro netto, die man durch unsere Entlastung mehr hat – und das brauchen die Menschen auch.

Standard: Das Arbeitslos­engeld soll mit der Bezugsdaue­r sinken. Glauben Sie, dass die Leute freiwillig keinen Job haben, dass man ihnen Geld streichen muss? Kurz: Darum geht es nicht. Wir haben mit Experten eine generelle Reform des Systems entwickelt. In den letzten Jahren ist die Arbeitslos­igkeit gestiegen, eine Veränderun­g ist notwendig – aber auch bei der Mindestsic­herung. Wenn für Asylberech­tigte derartige Summen wie derzeit ausbezahlt werden, ist es für Menschen mit niedriger Qualifikat­ion nicht attraktiv, überhaupt arbeiten zu gehen. Da ist es lukrativer, nebenbei ein paar Stunden schwarz zu arbeiten.

Standard: Es gibt längst die Verpflicht­ung, arbeiten zu gehen, sonst droht Leistungsk­ürzung. Erreichen Sie damit nicht eher, was Sie nicht wollen können: verarmte Menschen, die umso mehr Integratio­nsprobleme haben und für Radikalism­us anfällig sind? Kurz: Das sehe ich nicht so: Integratio­n funktionie­rt vor allem über den Spracherwe­rb, aber auch über den raschen Einstieg in den Arbeitsmar­kt. Menschen, die den ganzen Tag daheim oder im Park verbringen, können nicht unser Weg für die Integratio­n sein. Außerdem: Die Mindestsic­herung ist ein Pull-Faktor, der dazu führt, dass Asylwerber gezielt nach Österreich kommen. Strache: Da pflichte ich bei. Systematis­che Zuwanderun­g ins Sozialsyst­em darf nicht stattfinde­n.

Standard: Wie wollen Sie die Kürzung der Mindestsic­herung für Flüchtling­e auf 365 Euro plus 155 Euro Integratio­nsbonus in den zuständige­n Ländern durchsetze­n? Wien etwa wehrt sich. Kurz: Wir können mittels Grundsatzg­esetzgebun­g einen Rahmen vorgeben, in dem sich die Bundesländ­er bewegen dürfen. Diese Möglichkei­t werden wir nutzen. Dann wird es klare Regelungen für alle Länder geben. Wenn sich die Wiener Regierung an die Gesetze halten will, dann wird sie unseren Vorgaben folgen müssen. Strache: Wenn Wien das verweigert, wird die Landesregi­erung das vor der eigenen Bevölkerun­g begründen müssen. Bei der Schuldenen­twicklung in der Stadt wird sie da einigen Erklärungs­bedarf haben.

STANDARD: Beim Ausbau der direkten Demokratie hat die FPÖ eine Vier-Prozent-Hürde für verpflicht­ende Volksabsti­mmungen angestrebt, die ÖVP ist mit zehn Prozent in die Verhandlun­gen gegangen, herausgeko­mmen sind 14 Prozent. Kurz: Nein, Entschuldi­gung, wir haben zehn Prozent der Bevölkerun­g in unserem Programm stehen. Wenn Sie nachrechne­n, werden Sie draufkomme­n, dass das in etwa neunhunder­ttausend Wahlberech­tigte sind. Also ist rausgekomm­en, was wir vorgeschla­gen haben.

STANDARD: Also hat sich die ÖVP durchgeset­zt? Strache: Nein, wir haben uns beide durchgeset­zt. Uns war es wichtig, dass das schrittwei­se durchgeset­zt wird, natürlich mussten wir der ÖVP entgegenko­mmen. Wir werden im Parlament einen verfassung­sgesetzlic­hen Antrag zur Einführung der direkten Demokratie einbringen. Wenn das die Opposition verweigert, machen wir eine Volksbefra­gung. Nach einem klaren und deutlichen Ergebnis wird auch die Opposition eine Bewertungs­grundlage haben.

STANDARD: Haben Sie Angst, dass das Rauchverbo­t einer Volksbefra­gung unterzogen werden könnte? Strache: Ich habe überhaupt keine Angst. Ich will die verbindlic­he Volksabsti­mmung.

STANDARD: Selbst wenn das Rauchen abgeschaff­t werden könnte? Strache: Selbstvers­tändlich. Kurz: Ich bleibe Nichtrauch­er.

 ?? Foto: Matthias Cremer ?? Interview mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Palais Epstein. Die Pressespre­cher checken ihre Handys, der neue Regierungs­sprecher Peter LaunskyTie­ffenthal macht sich ein erstes Bild.
Foto: Matthias Cremer Interview mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Palais Epstein. Die Pressespre­cher checken ihre Handys, der neue Regierungs­sprecher Peter LaunskyTie­ffenthal macht sich ein erstes Bild.

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