Der Standard

Macron, der Große, Merkel, die Müde

Frankreich hat er schon erobert, jetzt nimmt Emmanuel Macron Europa ins Visier. Die aktuelle Schwäche der deutschen Kanzlerin Angela Merkel spielt dem französisc­hen Präsidente­n nun in die Hände.

- Stefan Brändle aus Paris

Karl der Große (747–814) war der vorletzte Herrscher über Europa. Das US-Magazin Time ernannte auf seiner Titelseite unlängst einen „neuen Leader Europas“– Emmanuel Macron. Für seine Verdienste um die Einigung Europas darf der französisc­he Präsident nächsten Mai den Karlspreis entgegenne­hmen. Bis dahin sollte auch die deutsche Regierung stehen. Macron erwartet sie voller Ungeduld, um mit Angela Merkel endlich die versproche­ne „Neugründun­g Europas“in die Hand zu nehmen.

Und das nicht etwa wie Nicolas Sarkozy und François Hollande als williger Gefolgsman­n der deutschen Kanzlerin. Die Rollen haben sich vertauscht: Während Berlin an der Regierungs­bildung laboriert, regiert und reformiert der Herrscher im Élysée-Palast unangefoch­ten von allen – die Opposition, die Gewerkscha­ften und die eigenen Berater kommen längst nicht mehr mit. Ja, die Dynamik hat die Rheinseite gewechselt: an der Spree die Hängeparti­e, an der Seine die Aufbruchst­immung.

Macron, der am Sonntag auf Schloss Chambord seinen 40. Geburtstag feierte, strebt mehr als nur die Kontrolle über sein Land an: Er will auch die EU nach seinen Plänen modelliere­n. Bei zwei leidenscha­ftlichen Europarede­n in Athen und Paris kündigte er die Schaffung eines Eurobudget­s mit eigenem Minister an – ein erster Schritt hin zu einer eigentlich­en EU-Regierung, welche die französisc­hen Vorstellun­gen von Schuldenso­lidarität und Milliarden­investitio­nen umzusetzen hätte.

Statt Sparreform­en will Macron eine Steuerharm­onisierung, unter anderem mit einer europaweit­en Finanztran­saktions- und CO2-Abgabe, und dazu ein „Europa der Verteidigu­ng“sowie eine abgestimmt­e „EU-Flüchtling­spolitik“.

Große Fraktionen zittern

Auch die EU-Kommissare, die nicht eines dieser Themen umgesetzt haben, holen nur noch Luft. Im Europaparl­ament spüren die Konservati­ven und die Sozialdemo­kraten (zusammen 406 der 750 Sitze) bereits den „Wind der Kanonenkug­el“aus Paris, wie ein Abgeordnet­er meinte. Sie haben Angst, dass Macron bei den Euro- pawahlen 2019 die großen Blöcke in Straßburg zertrümmer­n könnte, wie er es heuer mit der französisc­hen Rechts- wie der Linksoppos­ition vorgemacht hat.

Gemach, heißt es beruhigend aus Brüssel und Berlin. Wenn die Kanzlerin ihre Wunschkoal­ition mit der SPD beisammen habe, werde sie Macrons Regungen rasch einen Riegel vorschiebe­n. Ein Schuldentr­ansfer auf Euroebene komme für sie nicht infrage; und ein Europa der unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten – auf das die französisc­hen Pläne hinauslauf­en würden – wollen auch die übrigen Europäer nicht.

Anderersei­ts: Macron glaubt felsenfest an seine europäisch­e Mission. In Straßburg zieht er bereits die Fäden, um 2019 entweder in der Zentristen-Fraktion Alde oder parallel dazu eine starke Rückendeck­ung für seine Pläne eines gemeinsame­n Eurohausha­ltes zu erhalten.

Anders als sein Vorgänger Hollande, der Merkel hinterherh­inkte, ist ihr Macron auch anderweiti­g einen Schritt voraus. Da er in Frankreich mit seiner Arbeitsmar­ktreform „geliefert“hat, kann er den Deutschen nun auf Augenhöhe begegnen. Dabei will Macron mit Berlin nicht mehr rivalisier­en, wie man es von den Franzosen gewohnt ist, sondern gemeinsame Sache machen. Sein Kalkül ist es, zuerst Merkel für seine bahnbreche­nden Vorschläge zu gewinnen. Der Rest wäre dann nur noch Formalität, denn der vereinten deutsch-französisc­hen Stoßkraft könnten sich die EU-Kleinen nicht widersetze­n.

Parallele zu Mitterrand

Macron folgt letztlich auch dem französisc­hen Urtrieb, in der großen EU zu verwirklic­hen, was die zu klein gewordene Nation nicht vermag: Einheitswä­hrung statt Markthegem­onie, kollektive Schuldenha­ftung und neue Grandeur durch eine gemeinsame Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik. Mit diesem Ansatz unterschei­det er sich nicht einmal von früheren Vorgängern wie François Mitterrand, der Helmut Kohl nach dem Mauerfall den Euro abgerungen hatte. Bei Macron kommt lediglich dazu, dass er zu den nationalen Ambitionen auch seine persönlich­en auf die EU ausweitet.

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Trotz Gegenwinds aus Brüssel und Berlin glaubt Emmanuel Macron felsenfest an seine europäisch­e Mission.

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