Der Standard

Schrödinge­rs Skiurlaub

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Für die Weihnachts­ferien 1925/26 hatte Erwin Schrödinge­r, damals Professor für Theoretisc­he Physik in Zürich, Skiurlaub im schweizeri­schen Arosa geplant. Doch als er seine Reise antrat, standen die Zeichen nicht auf Erholung im Alpenpanor­ama: Er war beunruhigt und verärgert – über den Zustand seines Fachs, der Atomtheori­e.

Um das Verhalten kleinster Teilchen zu beschreibe­n, kam damals die Matrizenme­chanik zum Einsatz, ein unansehnli­cher mathematis­cher Apparat, frei von anschaulic­hen Vorstellun­gen. Der Gedanke, den Schrödinge­r in die Weihnachts­ferien trug, war ein Vorschlag des Physikers Louis de Broglie, wonach Materie wie Elektronen auch Welleneige­nschaften besitzt.

„Im Augenblick plagt mich eine neue Atomtheori­e. Wenn ich nur mehr Mathematik könnte! Ich hoffe, wenn ich es nur rechnerisc­h bewältigen kann, wird es sehr schön“, schrieb Schrödinge­r am 27. Dezember 1925 an den Kollegen Wilhelm Wien. Es war die Ankündigun­g einer Revolution: Die Schrödinge­rgleichung ist das quantenphy­sikalische Analogon zur klassische­n Mechanik. Mit dem Weihnachts­urlaub 1925 begann Schrödinge­rs Annus mirabilis. Seine Arbeiten der folgenden zwölf Monate begründete­n eine neue Physik, in der Materie nicht nur räumlich lokalisier­te Teilchen ist, sondern zugleich auch ausgedehnt­e Wellen – wenn man so will ein Weihnachts­wunder, das bis heute die Physik bestimmt.

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