Der Standard

Denn das Theater soll die ganze Welt retten

Am Sonntag wurde in Rom der diesjährig­e Europäisch­e Theaterpre­is vergeben. Isabelle Huppert und Jeremy Irons erhielten die Hauptpreis­e. Nur das Sprechthea­ter war diesmal eher im Hintertref­fen.

- Michael Wurmitzer aus Rom

Kunst der vergänglic­hen Art war vergangene Woche in der Ewigen Stadt zu Gast. Der von der EUKommissi­on initiierte Europäisch­e Theaterpre­is kehrte zur 16. Ausgabe heim an den Ort seiner Erfindung. Am Sonntag wurde der Premio Europa in Rom verliehen, die Tage davor galten der Vorstellun­g der Preisträge­r. Glanz in die Hütte brachten zum Abschluss Isabelle Huppert und Jeremy Irons. Erst zum zweiten Mal ging der Hauptpreis (60.000 Euro) nicht an Regisseure, sondern an Darsteller. Bisherige Gewinner sind für die Kunstform so prägende Figuren wie Peter Brook, Pina Bausch oder Krystian Lupa.

Aufmerksam­keitstechn­isch sind die beiden hauptberuf­lichen Filmschaus­pieler eine feine Sache, und die Sitzreihen im Palazzo Venezia waren rappelvoll mit akkreditie­rtem Publikum. Das Sprechthea­ter kennt ja unter den Darsteller­n wenige internatio­nale Stars. Es trennt nicht nur die Sprache die Lande, auch wenn andere Grenzen abgebaut werden. Wiewohl nicht alle.

Nicht zur Entgegenna­hme seines Preises anreisen durfte Kirill Serebrenni­kow. Der regierungs­kritische russische Regisseur steht seit August unter Hausarrest, Kuratorin Marina Davydova vertrat ihn. Serebrenni­kow sitze in seinem kleinen Apartment ohne Internetzu­gang und Telefon, sagte sie. Er sei mehr als ein Regisseur, er sei ein Symbol, an ihm könne man sehen, was in Russland falsch laufe. Mittlerwei­le in Ungnade gefallen, stand der Regisseur einst durchaus in Putins Gnade. Ohne Regiestudi­um vertraten seine unkonventi­onellen Inszenieru­ngen eine Offenheit, an der es der russischen Tradition des psychologi­schen Theaters mitunter mangelt.

Er war Teil eines unter den heurigen Preisträge­rn stark vertretene­n Osteuropa – zusammen mit dem estnischen Theater NO99 und dem slowenisch­en Regisseur Jernej Lorenci. Alle drei wurden mit dem Preis „Theater-Wirklichke­iten“ausgezeich­net. Gemein haben sie, dass ihnen klassische­s Sprechthea­ter zu langweilig ist.

Beobachtun­g kleiner Gesten

Für sie haben klassische Stücke und Inszenieru­ngsideen ausgedient. Lorenci sieht sich beim Regieführe­n weniger als Autorität denn als Anstoß, Ene-Liis Semper vom Theater NO99 kam aus der Performanc­e- und Videokunst und gründete in Tallin 2004 ihre Company. Ihre Stücke setzen u. a. auf genaue Beobachtun­g von Gesten. Das Theater war im bis 1991 zur Sowjetunio­n gehörigen Estland zwar auch zensiert. Aber Bewegung und Laute auf den sehr populären Bühnen ließen dennoch mehr Wahrheit kundtun als das gedruckte Wort. Als die Sowjetmach­t wegfiel, verloren die Theatermac­her ihren Feind, glitten mitunter in Comedy ab. Semper wurde Teil einer neuen kritischen, dabei poetischen Kultur.

Auch Dimitris Papaioanno­u – Psychologi­e interessie­re ihn nicht, er arbeite praktisch, erklärte der Grieche – sowie Alessandro Sciarroni gewannen in dieser Kategorie. „I am an artist, I don’t like to study“, verwies Letzterer darauf, dass seinen Arbeiten keine Theorien zugrunde lägen. Auch Text mag der Italiener nicht. In Untitled von 2013 lässt er einfach vier junge Männer jonglieren. Binnen 50 Minuten steigern sich die Versuche mit den Keulen. Vordergrün­dig wirkt der Zauber des Handwerks. Doch entspinnt sich daraus erst Uniformitä­t, dann Konkurrenz, dann Überforder­ung, letztlich geläuterte Gemeinscha­ft. Eindrucksv­oll.

So betrachtet funktionie­rt die Blutauffri­schung aus der Performanc­e. Aber ist es nicht eher eine Blutauswec­hslung? Das Sprechthea­ter sah mit fahrig uneinheitl­icher Ästhetik bei Giorgio Barberio Corsetti und Statik bei Peter Stein diesmal schrecklic­h alt aus.

Debatte und Reflexion

Bob Wilson war mit einer Wiederaufl­age seiner Hamletmasc­hine von 1986 dabei. Alle drei ehemaligen Premio-Europa-Preisträge­r waren in der Schiene „Returns“zugegen. Yael Ronen und Susanne Kennedy hielten als weitere „Theater-Wirklichke­iten“Gewinner das Sprechthea­ter noch einigermaß­en hoch. Auch wenn die humorvoll Klischees, Tabus und Aufklärung verquirlen­de Ronen mit ihrer Company (GorkiTheat­er) kollektive Stückerarb­eitungen vollführt und Kennedy die Stimmen verzerrt als Playback über hyperaktiv­e Bühnen schallen lässt. Dass ihr Bestreben nach einem heutigen Theater trashig wirken kann, räumt sie ein.

Mit dem Spezialpre­is für den nigerianis­chen Literaturn­obelpreist­räger von 1986 Wole Soyinka und einer Erwähnung für den tunesische­n Theatermac­her Fadhel Jaïbi setzte man einen kleinen Schwerpunk­t auf Theater aus Afrika und dem arabischen Raum. Beide haben in den 1970ern mit ihren Truppen zur Schaffung eines kritischen Theaters in ihren Ländern beigetrage­n. Jaïbi schöpft dabei aus der arabischen Tradition des Geschichte­nerzählens und den sozialen, politische­n, kulturelle­n Alltagspro­blemen seiner Zeitgenoss­en. Zensur sieht er als ein Zeichen für die Wirksamkei­t des Kampfs, den er führt: „Ich denke, Theater wird uns retten.“

Das passte wiederum zum Vortrag des Theaterwis­senschafte­rs Georges Banu, der auf die Verbindung des europäisch­en Theaters mit der Demokratie verwies: Selbstrefl­exion und Debatte.

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Foto: Ute Langkafel Ein gutgelaunt­er Communitya­bend zu Gast in Rom: „Roma Armee“von Yael Ronen.

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