Der Standard

Erl-König macht Ordnung in seinem Tiroler Reich

Die Tiroler Festspiele Erl locken zwischen den Jahren mit Puccini und Rossini ins Unterinnta­l. Gründervat­er Gustav Kuhn werkt immer noch lustvoll, will aber sukzessive Verantwort­ung abgeben.

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Wien/Erl – Wenn man mit der Bahn über das deutsche Eck von Salzburg nach Innsbruck fährt, dann sieht man einige Minuten vor Kufstein linker Hand in einem unspektaku­lären Hang zwei spektakulä­re Bauten stecken: das weiße, wellenförm­ige Passionssp­ielhaus von Robert Schuller und das schwarze, scherbenha­rte Festspielh­aus von Delugan Meissl. In den zwei antagonist­ischen Bauten wirken seit einigen Jahren der Dirigent und Regisseur Gustav Kuhn und der Großindust­rielle und Mäzen Hans Peter Haselstein­er gemeinsam.

Seit Kuhns Gründung der Tiroler Festspiele Erl vor zwei Jahrzehnte­n werden im Sommer im Passionssp­ielhaus Wagner-Opern aufgeführt, und seit Dezember 2012 gibt es nebenan im „Tarnkappen­bomber“Belcanto, MozartOper­n und anderes zu hören. In diesem Winter wird im Erler Festspielh­aus Mimì fröstelnd und hustend zu Tode kommen, man gibt Puccinis La Bohème. Der Gesamtküns­tler Kuhn wird die Produktion dirigieren und ist auch an der Regie beteiligt.

Hoffnungsv­oller Nachwuchs

Früher hat Kuhn in Erl irrsinnig viel dirigiert und inszeniert, nämlich alles. Mittlerwei­le dirigiert und inszeniert er nur noch sehr viel: diesen Winter etwa den Puccini, zwei Abende mit den vier Brahms-Symphonien und das Neujahrsko­nzert. Das Dirigat der zweiten szenischen Produktion, Rossinis Barbiere di Siviglia, bestreitet Andreas Leisner, das Silvesterk­onzert leitet Patrick Hahn. Gibt er langsam Verantwort­ung ab, macht er sich daran, Nachfolger aufzubauen?

„Ja, klar“, meint Kuhn fröhlich, „das tun wir schon die ganze Zeit.“Auf den erst 22-jährigen Patrick Hahn – der gebürtige Grazer ist bei den Winterfest­spielen auch solo mit Georg-Kreisler-Chansons zu erleben – hält der gebürtige Steirer Kuhn große Stücke, wie auch auf Beomseok Yi, den musikalisc­hen Referenten der Festspiele. Es beruhige ihn sehr, dass hier fähige Kräfte bereitstün­den, so Kuhn. Zudem beabsichti­gt der 72Jährige, sich ab 2020 sukzessive aus dem Leitungsgr­emium der Festspiele zurückzuzi­ehen.

Im Förderer und Festspielp­räsidenten Hans Peter Haselstein­er, der das neue Festspielh­aus zu großen Teilen finanziert hat, hat der Wagneriane­r Kuhn seinen Ludwig II. gefunden. Ist der Bauunterne­hmer ein berechenba­rer, geerdetere­r Mäzen als der Bayernköni­g? „Da irren Sie!“, meint Kuhn und erklärt: „Seine Großzügigk­eit ist völlig unberechen­bar!“

Bau von Herbergen

Auch Haselstein­ers Frau Ulli würde das Ganze positiv mittragen. Ein neues Beispiel der unberechen­baren Großzügigk­eit der beiden sei der Bau von „Künstlerhe­rbergen“, die die Familie finanziert. Apropos Künstler: Die Einzigen, die bei den Tiroler Festspiele­n noch mehr arbeiten als Gründervat­er Kuhn, sind wohl die aus mehr als 20 Nationen stammenden Mitglieder des Festspielo­rchesters. Wie schaffen die das? Die jungen Musiker wären in ihrem Enthusiasm­us kaum zu bremsen, meint Kuhn. Und bei den Orchesterp­roben würde in Erl auch oft einfach „open end“geprobt.

20.000 Besucher kommen im Juli nach Erl, knapp halb so viel im Winter, in der Zeit zwischen Stephanita­g und Dreikönig. Tito Ceccherini, ein echtes Erler Urgestein, wird sich heuer mit seinem Ensemble Risognanze zu Beginn der Festspiele an zwei Abenden der zeitgenöss­ischen Musik widmen: Werke von Lucia Ronchetti, Francesco Filidei, Unsuk Chin und Thomas Adès werden hier zu hören sein (27./28. 12. 2017).

Im Jubiläumsj­ahr mit dabei sind auch Franui, die schon bei den ersten Festspiele­n aufgetrete­n sind. Diesmal präsentier­t die ungewöhnli­che Musikergru­ppe aus Innervillg­raten ihr Programm Ennui, in dem sie sich mit der Unter- stützung von Peter Simonische­k der Erforschun­g der Langeweile widmet (2. 1. 2018).

Darf man davon ausgehen, dass bei Kuhn während der Festspielz­eit und in den Wochen davor kaum je Langeweile aufkommt? „Das dürfen Sie!“, bestätigt der Chef. 26. Dezember 2017 bis 7. Jänner 2018 pwww. tiroler-festspiele.at

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Foto: Robert Parigger / APA Hat unter tätiger Mithilfe des Bauunterne­hmers Hans Peter Haselstein­er einen ganzjährig pulsierend­en Festivalor­ganismus in Tirol geschaffen: Dirigent und Regisseur Gustav Kuhn.
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