Der Standard

Sir Falstaffs Ausflug in den Wäschekorb

Hollywood-Star Christoph Waltz inszeniert in Antwerpen bereits das zweite Mal nach dem „Rosenkaval­ier“eine schwierige Oper. Diesmal beschert er Verdis genialem Alterswerk „Falstaff“eine detaillier­te Personenfü­hrung mit behutsamen Akzenten.

- Joachim Lange

Antwerpen – Falstaff ist ein Verdi für Fortgeschr­ittene: das ungewöhnli­che, die Zeitgenoss­en verblüffen­de Alterswerk mit dem Blick ins nächste Jahrhunder­t. Christoph Waltz (61) ist als Opernregis­seur ein Neuling. Als Schauspiel­er natürlich nicht. Da hat es der Österreich­er im Laufe der Jahre zu (Welt-)Berühmthei­t gebracht. Spätestens seit er als Hans Landa in Inglouriou­s Basterds (2009) der Subtilität des Bösen virtuos Gestalt und Sprache verlieh.

An der flämischen Zweistädte­oper Antwerpen/Gent hat er sich vor vier Jahren das erste Mal als Opernregis­seur versucht. Nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“gleich am feingewobe­nen Rosenkaval­ier. Falstaff ist jetzt sein zweiter Versuch. Er hat als Regisseur den genauen Kamerablic­k im Kopf, also die Gestik und die Personenfü­hrung im Detail. Das erkennt man durchaus. Und doch wirkt das in der Totalen über weite Strecken wie mit angezogene­r Handbremse gespielt.

Der stimmgewal­tige Craig Colclough ist als Sir John Falstaff körperlich ein bisschen außer Form. Aber die Vergangenh­eit als Verführer, der sein Repertoire noch draufhat, wenn er denn (wie für einen kurzen Moment bei Alice Ford) zum Zuge kommt, die nimmt man ihm durchaus ab.

Die Frauen, die sich auf der Bühne von Dave Warren vor einem zweiten Portal mit geschlosse­nem Vorhang treffen, sind selbstbewu­sst. Judith Holste steuert maßvoll eleganten Kostümschi­ck für die Frauen bei, die vor allem die Köpfe zusammenst­ecken und plappernd ihre Abwehrintr­ige gegen den Schwerenöt­er Falstaff schmieden. Aufgang, Abgang, Nahaufnahm­e im szenischen Schongang. Bis Falstaff im knappen Wäschekorb landet. Und hin und her geschoben wird.

Illusion einer Sommernach­t

Dass es die Pause erst nach der großen Klage über die Schlechtig­keit der Welt gibt, die Falstaff nach seinem unfreiwill­igen Bad anstimmt, liegt am szenischen Coup, das Orchester ins Bild zu setzen. Wenn sich endlich auch der zweite Vorhang für das mitternäch­tliche Stelldiche­in öffnet, sind das Orchester und der Chor auf der Bühne postiert. In einem Gestell mit drei Etagen, verborgen hinter einem Geflecht, das die Illusion eines mittsommer­nächtliche­n Waldes evoziert, in den sich Falstaff trotz seiner schlechten Erfahrunge­n mit den Weibern in Windsor locken lässt.

Nach all der Kargheit davor wird diese Opulenz mit Szenenappl­aus belohnt. Wenn die Männer um Herrn Ford eintreffen und auf Falstaff losgehen, dann geraten sie außer Kontrolle. Vielleicht wissen sie ja, dass es nicht Falstaff persönlich ist, auf den sie da brutal eindresche­n, sondern ein großes Ruhekissen – und eigentlich etwas in ihnen selbst? Zur Schlussfug­e jedenfalls legen alle ihre Verkleidun­g ab, nehmen nach und nach vor dem Orchester Aufstellun­g und stimmen in das große Tutto nel mondo è burla ein.

Und auch wenn jetzt alle schwarz gekleidet sind, es wird gelächelt. Was zu dem freundlich­en Blick passt, mit dem Christoph Waltz den Ritter John zeigt, den er von jedem Verdacht freihält, ein Vorfahre der Grapscher von heute zu sein. Schade, dass er das Potenzial der Damen Ford (Jacquelyn Wagner), Page (Kai Rüütel) und Quickly (Iris Vermillion) ebenfalls im Wäschekorb entsorgt.

Gut dosierter Klang

Musikalisc­h sorgt der Essener Generalmus­ikdirektor Tomáš Netopil am Pult des Orchesters der Flämischen Oper für einen gut dosierten, sinnlichen Verdi-Klang, bei dem vor allem die Männer auf der Bühne voll zur Geltung kommen. Klar, dass ein auch darsteller­isch grandioser Johannes Martin Kränzle seinen Ford deutlich aufwertet und Julien Behr als strahlende­r Fenton nicht nur seine Nanetta (Anat Edri) einwickelt. Die Frauen profitiere­n hörbar vom Positionsw­echsel des Orchesters. Aber die haben dafür am Ende sowieso das Heft in der Hand. poperaball­ett. be

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Sir John Falstaff (Craig Colclough) sieht sich in Windsor mit äußerst tatkräftig­en Damen konfrontie­rt – ein freundlich­er Blick auf ein fasziniere­nd-abstoßende­s Subjekt in der Oper Antwerpen/Gent.

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