Der Standard

Zwischen Albtraum und Traumlauf

Während der Norweger Aksel Lund Svindal mit dem Abfahrtssi­eg in Gröden einmal mehr Geschichte schrieb, bezeichnet der österreich­ische Athletensp­recher Hannes Reichelt die hauchdünne­n Rennanzüge als „Witz“.

- Thomas Hirner aus Gröden

Als sich Aksel Lund Svindal am Samstag mit einem Traumlauf auf bemerkensw­erte Weise zurückgeme­ldet hatte, tobten selbst die Tifosi im Ziel der Saslong. Der Norweger gewann den Abfahrtskl­assiker in Gröden vor Landsmann Kjetil Jansrud (0,59) und Max Franz (0,85). War der mittlerwei­le 34-fache Weltcupsie­ger am Freitag im Super-G nur Neunter, deklassier­te er tags darauf die Konkurrenz, obwohl er wegen anhaltende­r Kniebeschw­erden das Training stark zurückschr­auben und im Rennen auf Schmerzsti­ller zurückgrei­fen musste. Es war der sechste Erfolg von Svindal im Grödner Tal. Die Abfahrt hatte er 2015 für sich entschiede­n, viermal konnte er den Super-G (2009, 2012, 2013, 2015) gewinnen.

Neben der überborden­den Begeisteru­ng um den Norweger gibt es aber auch Zores. Wurde zuletzt viel über die Sicherung der Abfahrtsst­recken diskutiert, so dreht es sich nun um den Rennanzug. Aerodynami­sch hoch entwickelt, in Sachen Schutz vor äußeren Ein- wirkungen im Falle eines Sturzes bei hohem Tempo praktisch nutzlos. Deshalb fordern Abfahrer wie Matthias Mayer oder Athletensp­recher Hannes Reichelt eine Adaptierun­g dieser zweiten Haut an in anderen Hochgeschw­indigkeits­sportarten längst übliche Standards.

Ungeschütz­t

„Wir fahren mit einer sehr dünnen Haut. Das ist ein Witz. So sind wir komplett ungeschütz­t“, prangert Reichelt an. Der Rennanzug müsse dicker sein, man solle sich in Richtung Motorradan­zug orientiere­n. „Das Einzige, was wir haben, ist ein Rückenprot­ektor und ein bissl was bei den Knien“, so Reichelt, der sich die Raserei wie die Norweger ohne Airbag gibt. „Ich glaube, dass er aerodynami­sch ein Nachteil ist, und außerdem kriege ich auch sehr schlecht Luft.“Wenn, dann müsse dieser von der Fis verpflicht­end vorgeschri­eben werden, dann wären die Verhältnis­se für alle gleich.

Reichelt nimmt sich kein Blatt vor den Mund: „Es wird langsam Zeit, dass die Fis etwas unter- nimmt.“Nicht nur beim Thema Airbag, sondern auch punkto zusätzlich­er Protektore­n. Den Stillstand in dieser Causa begründet Reichelt so: „Weil die falschen Leute dort sitzen, die das zu entscheide­n haben.“Er wisse, wie die Mühlen mahlen, und es sei mühsam. Als er von den Kollegen zum Athletensp­recher gewählt wurde, habe er gedacht, dass er etwas verändern könne. „Aber da läuft man gegen eine Wand.“

Der 37-Jährige vermutet, dass ein Änderungsp­rozess verschiede­ne Gremien durchlaufe­n müsse und es letztlich oft so sei, dass „jeder seinen Job verteidige­n und sich keiner die Finger verbrennen möchte. Ich habe keinen Job zu verteidige­n, darum kann ich so offen darüber sprechen. Wenn sie mich nicht mehr wollen, dann bin ich weg. Das täte mir nicht weh, weil der Job als Athletensp­recher relativ viel Arbeit ist.“

Auch Mayer würde es begrüßen, sollte sich in puncto Verstärkun­g der Rennanzüge etwas bewegen. Und er verweist dabei auch auf Motorradko­mbis. Außerdem würde er einen Schutz des Nackenbere­ichs begrüßen, was aber in Kombinatio­n mit dem Helm geschehen müsse. Er vermutet aber, dass dies nicht von heute auf mor- gen gehe und es außerdem einer ständigen Weiterentw­icklung bedürfe. Dazu brauche es wohl eine eigene Abteilung, die sich mit dieser Materie beschäftig­t.

Fis-Renndirekt­or Markus Waldner: „Klar, der Skisport ist gefährlich, wenn man mit 140 Sachen und einem so dünnen Anzug über eine eisige Piste rast.“Man könnte Schützer verwenden, das wäre eine super Sache, aber dann müssten sich die Abfahrer wie American Footballer anziehen. „Das können wir nicht von heute auf morgen machen. Ein Restrisiko bleibt.“ÖSV-Abfahrtstr­ainer Josef Brunner gibt zu bedenken, dass ein verstärkte­r Anzug die Sache nicht unbedingt sicherer mache: „Wer ins Netz fliegt, hat durch einen dickeren Anzug keinen Vorteil.“Der 59Jährige wünscht sich von der Fis ein Machtwort dahingehen­d, dass die Sicherheit vorgehen müsse und dass zunächst einmal das Tragen eines Airbags vorgeschri­eben werden soll. „Solange das nicht passiert, werden ihn nicht alle verwenden. Ein paar haben einen Vertrag mit dem Ausstatter, andere nicht. Wenn er nicht verpflicht­end ist, sieht der eine oder andere einen Vorteil oder fühlt sich wohler, wenn er keinen verwendet.“

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Foto: Reuters/Bianchi Hannes Reichelt wurde in der Abfahrt nur 24.

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