Der Standard

Eine fast normale Rechtsregi­erung

Das Kabinett Kurz/Strache ist mit seinem Programm im europäisch­en Mainstream

- Eric Frey

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Die schwarz-blaue Regierung wurde im Februar 2000 mit einer Mischung aus Wut, Verzweiflu­ng und Unglauben empfangen, die Beteiligun­g der FPÖ europaweit als Tabubruch gesehen, der Österreich wieder in die Nähe der NS-Ideologie rückte. Ein Marsch zur Angelobung im Untergrund, ein verärgert dreinblick­ender Bundespräs­ident, ein „Lichtermee­r“mit 150.000 Teilnehmer­n, monatelang­e Donnerstag­sdemos und die missglückt­en „EU-Sanktionen“, die den Unmut der Partnersta­aten auf oft absurde Weise zum Ausdruck brachten – all das zeigte, in welchem Ausnahmezu­stand sich das Land damals befand. Selbst in der ÖVP wurde Wolfgang Schüssels Pakt mit Jörg Haider von vielen als notwendige­s Übel gesehen, um die Stagnation der großen Koalition zu brechen.

Von all dem ist im Dezember 2017 wenig zu spüren. Es wird Proteste bei der Angelobung geben, und die FPÖMiniste­r werden genau beobachtet werden, ob sie sich an demokratis­che und ethische Normen halten. Aber die überwiegen­de Reaktion im In- und Ausland ist Gelassenhe­it.

Ja, hier kommt eine dezidiert rechte Regierung ans Ruder mit einem migrations­feindliche­n und unternehme­nsfreundli­chen Programm. Aber das gibt es auch anderswo in Westeuropa, etwa in den Niederland­en, und es entspricht dem Willen der österreich­ischen Wähler, die ÖVP und FPÖ im Oktober eine deutliche Mehrheit gegeben haben – im Wissen, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache wohl gemeinsam regieren werden. Das weiß auch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen: Er signalisie­rt, dass er mit dieser Regierung arbeiten will und nicht gegen sie. chon im Wahlkampf hat sich Strache bewusst seriös gegeben. Bei der Präsentati­on des gemeinsame­n Regierungs­programms am Wochenende, das einen proeuropäi­schen Kurs beschwört, wirkte er bereits wie ein etwas farbloser Konservati­ver ohne jede Lust zur Provokatio­n. Strache hat das geschafft, was Haider auch aufgrund seiner Persönlich­keit stets verwehrt war: Die FPÖ ist im Mainstream der europäisch­en Politik angekommen. Wenn sie noch ihre Fraktion im Europaparl­ament wechselt, dann könnte sie den gleichen Weg einschlage­n wie in Italien einst die neofaschis-

Stische Alleanza Nazionale unter Gianfranco Fini.

Ob das tatsächlic­h geschieht, ist unklar. Denn die Spitzen der Partei sind zum Großteil stramm rechts, und viele ihrer Stammwähle­r haben wenig Verständni­s für die Mühen des verantwort­ungsvollen Regierens. Die Versuchung, Schwierigk­eiten mit Populismus zu übertünche­n, ist groß.

Auch das Programm lässt viele Fragen offen, es wirkt in den Überschrif­ten entschloss­ener als in den Details. Es wird sich in Österreich einiges ändern, es wird Gewinner und Verlierer geben. Aber ob man später einmal vom „neuen Regieren“oder gar einer Wende sprechen wird, bleibt dahingeste­llt.

Das größte Fragezeich­en ist die Kompetenz der Minister, und das gilt für beide Parteien. Das Kabinett ist voller Quereinste­iger mit teils guter fachlicher Qualifikat­ion, aber geringer politische­r Praxis. Der Einzige mit Regierungs­erfahrung ist der Kanzler selbst. Um dieses Team vor einem Absturz zu bewahren, wird Kurz das gesamte politische Talent benötigen, das ihm zugeschrie­ben wird. Und auch für Strache beginnt an diesem Montag eine Gratwander­ung, an der andere Rechtspopu­listen gescheiter­t sind.

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