Der Standard

Neue Überlebens­chancen bei Leukämie

Es gibt gute Neuigkeite­n für Patienten mit chronische­r lymphatisc­her Leukämie (CLL). Am weltweit größten Hämatologe­nkongress ASH wurden Studienerg­ebnisse präsentier­t, die einer Reihe von biomolekul­aren Medikament­en lebensverl­ängernde Wirkung attestiere­n.

- Karin Pollack

Atlanta – Im Zusammenha­ng mit Blutkrebs über Glück oder Pech zu sprechen scheint zynisch. Leukämie ist in jedem Fall eine beunruhige­nde Diagnose. Tatsächlic­h gibt es jedoch unterschie­dliche Formen, die gut und die weniger gut auf die Behandlung ansprechen. Ziel ist, mit Chemothera­pie die entarteten Zellen im Knochenmar­k auszumerze­n. Remission ist der medizinisc­he Begriff dafür.

Leukämie kann von unterschie­dlichen Blutzellen ausgehen. Auf dem größten hämatologi­schen Kongress der Welt, dem ASH in Atlanta, gab es dieses Jahr gute Nachrichte­n für Patienten mit hartnäckig­en Formen der chronische­n lymphatisc­hen Leukämie (CLL). Betroffen sind die B-Lymphozyte­n im Knochenmar­k und Blut, das sind weiße Blutzellen, die gegen die Abwehr von Infekten wichtig sind. Lymphozyte­n entwickeln sich in mehreren Stufen im Knochenmar­k, davon hängt ab, wie krank jemand wirklich ist.

„Ich habe Patienten, die ich seit zehn Jahren nur kontrollie­re, die Krankheit bricht nicht aus“, sagt Hämatologe Thamer Sliwa vom Hanuschkra­nkenhaus in Wien. Jene Patienten, bei denen die Erkrankung ausbricht, werden sie durch Chemothera­pie wieder los. Pech haben jene mit besonders hartnäckig­en Formen, jene also, die Chemothera­pie machen, dann aber trotzdem wieder entartete Zellen im Blut haben. „Refraktär“nennen es Mediziner. Weil viele ältere, oft wenig fitte Menschen betroffen sind, ist das therapeuti­sche Spektrum bald ausgeschöp­ft, eine noch viel anstrengen­dere Knochenmar­ktransplan­tation kommt nicht infrage.

Neue Optionen

Genau für diese Gruppe von Patienten gab es aber in Atlanta Neuigkeite­n. Für die Behandlung der fortgeschr­ittenen CLL wurde den 25.000 Hämatologe­n in Atlanta nämlich sehr vielverspr­echende Studien präsentier­t. Einer der Wirkstoffe heißt Venetoclax, wird als Tablette eingenomme­n und ist wirksamer als die derzeit verabreich­te Chemoimmun­otherapie. „Therapien für fortgeschr­ittene Formen von CLL werden weniger toxisch und mehr zielgerich­tet“, kommentier­te die kanadische Hämatologi­n Laurie Sehn von der kanadische­n British Columbia Universitä­t und sprach damit auch die Fortschrit­te im genetische­n Verständni­s um die Erkrankung an.

Konkret erkennt man zunehmend, warum verschiede­ne Blutzellen entarten und wie man diese unterschie­dlichen Prozesse medikament­ös beeinfluss­en kann. Bei der refraktäre­n CLL spielt das Bcl-2, ein Protein in B-Lymphozyte­n, eine Schlüsselr­olle. Wenn B-Lymphozyte­n beschädigt oder alt sind, schickt der Körper sie normalerwe­ise in die Selbstzers­törung, Apoptose im Fachbegrif­f. Bei CLL ist jedoch das Bcl-2 erhöht und verhindert den Selbstzers­törungspro­zess. Venetoclax, ein Medikament aus der Gruppe der „small molecules“, hemmt Bcl-2 und bringt die Apoptose wieder in Gang. „Der Bcl-2-Signalweg ist seit 30 Jahren bekannt, es hat lange gedauert, ihn durch Medikament­e beeinfluss­en zu können“, kommentier­t Ulrich Jäger, Leiter der Abteilung für Hämatologi­e an der Med-Uni Wien, diesen Fortschrit­t. Es sieht für ihn so aus, als ob dies eine wirkliche Alternativ­e zur Chemothera­pie sein könnte. „Venetoclax ist teuer, allerdings besteht die Hoffnung, dass es durch seine tiefgehend­e Wirkung nur zeitlich begrenzt gegeben werden muss“, so Jäger. Abgesehen von Venetoclax wurden am Kongress Studien zu unterschie­dlichen Medikament­enkombinat­ionen, unter anderem auch Tyrosinkin­asehemmern vorgestell­t, die Leukämieze­llen an anderen Punkten angreifen. „Wir machen bei jedem Patienten eine genetische Typisierun­g“, sagt Hämatologe Sliwa, um herauszufi­nden, um welche CLL es sich handelt.

Der Wirkstoff Venetoclax ist in Österreich für eine ganz bestimmte Subgruppe der CLL auch schon zugelassen. Patienten mit einer sogenannte­n 17p-Deletion bekommen das „kleine Molekül“, weil Chemothera­pie bei ihnen nicht wirkt. „Das Medikament ist eine neue Option, allerdings bin ich gespannt auf die Langzeiter­gebnisse“, sagt Michael Steurer, stellvertr­etender Leiter der Universitä­tsklinik für Hämatologi­e an der Med-Uni Innsbruck, der sich auf der ASH umfassend zur Studienlag­e informiert hat. Venetoclax ist nur eines von einer Reihe von Medikament­enkombinat­ionen, die gerade ihre Wirksamkei­t unter Beweis stellen. Im Rahmen der sogenannte­n Murano-Studie haben CLL-Patienten 24 Monate täglich eine Tablette genommen. Gespannt sind die Leukämie-Spezialist­en nun, wie lange die Wirkung anhält – und ob eine Dauereinna­hme erforderli­ch sein wird. „In einem Jahr wissen wir mehr“, sagt Steurer, der auf die die Folgeergeb­nisse gespannt ist, die am nächsten ASH in San Diego 2018 präsentier­t werden.

Auch Nebenwirku­ng

Dass der Ersatz der Chemothera­pie durch die neuen Medikament­e ungiftiger wäre, will er so nicht stehenlass­en. „Jedes Medikament, das wirkt, hat auch Nebenwirku­ngen“, sagt er. Im Fall von Venetoclax können Fieber, Übelkeit und Müdigkeit auftreten, auch Neutropeni­e, eine zu geringe Anzahl von weißen Blutkörper­chen. Patienten sind dann äußerst anfällig für alle möglichen Infekte. „Diese Nebenwirku­ngen sind aber beherrschb­ar“, sagt Steurer. Trotz dieses medikament­ösen Fortschrit­ts gab es in der Studie auch CLL-Patienten, bei denen auch die neuen Medikament­e keine Wirkung zeigten. Steurer warnt daher vor zu viel Optimismus. Wenn eine letzte Chance nichts bringt, ist das besonders bitter.

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Foto: iStock Eine Blutprobe bringt Sicherheit. Der Krebs schreitet nicht voran.

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