Der Standard

Keine Auslieferu­ng

Der Rote Hahn hat in über 330 Jahren viel überstande­n. Wie ein Phönix stand er sogar nach einer Feuersbrun­st wieder auf. Heute steht das ehemalige Gasthaus, in dem einst Mozart trank, und spätere Hotel im dritten Bezirk wegen eines Rechtsstre­its leer.

- Christa Minkin

Der ukrainisch­e und in Österreich aufhältige Oligarch Dmitri Firtasch wird nicht nach Spanien ausgeliefe­rt. Dort wird ihm unter anderem Geldwäsche vorgeworfe­n.

Wien – Einst war auf einem Haus in einer Wiener Vorstadt namens Landstraße ein Schild: Es zeigte einen Gockel in rotem Federkleid. Das dazugehöri­ge Einkehrwir­tshaus, eines der ältesten des heutigen dritten Bezirks, trug deshalb die Bezeichnun­g Zum roten Hahn. 1683, zur Zeit der zweiten Türkenbela­gerung, stand es bereits dort: in der heutigen Landstraße­r Hauptstraß­e 40.

Ein Marmorreli­ef an der Fassade erinnert an die lange Existenz sowie Zerstörung des Gebäudes, das nunmehr als Hotel Roter Hahn bekannt ist und auch STANDARDLe­ser neugierig machte: Denn es wird – bis auf ein kleines Modegeschä­ft im Erdgeschoß – nicht mehr genutzt. Auch auf den sich zuletzt dort befindlich­en Restaurant­betrieb weisen nur noch obsolet gewordene Schriftzüg­e hin.

Die nachgebild­ete Kanonenkug­el sowie die davon ausgehende­n Risse des im Jubiläumsj­ahr 1983 gestaltete­n Marmorreli­efs suggeriere­n, dass das Haus während der Türkenbela­gerung zerstört wurde. Tatsächlic­h wurde es aber niedergebr­annt – nicht jedoch von den Osmanen, wie auf der Website des Projekts Türkengedä­chtnis der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften erklärt wird, sondern von den Wienern selbst. Sie steckten die Vororte in Brand, um dem Feind die Verschanzu­ngsmöglich­keit zu nehmen.

Das danach wiedererri­chtete Wirtshaus war durchaus beliebt. Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven kehrten dort etwa ein. Adalbert Stifter schrieb über den „Gasthofe zum rothen Hahn“, in dem er 1826 übernachte­te, als er als Student nach Wien kam, er sei „unerhört elegant und schön“gewesen.

Die Wirte des Hahns wechselten häufig. Über jenen, der das Gasthaus betrieb, als es 1683 niederbran­nte, gibt möglicherw­eise die Inschrift auf einem Wegkreuz in Schwechat Aufschluss. „Im Jahre 1704 wurden bei diesem Kreuz der Büchsenspa­nner Johann Martin Seriauer und der Wirt vom Roten Hahn auf der Landstrasz­e (sic!) von ungarische­n Rebellen erschossen und hier begraben.“Wie der Wirt hieß und seit wann er den Gasthof besaß, verrät die Inschrift nicht. Das heute bestehende Gebäude wurde bis in die 1990erJahr­e von Karl Lippert als Hotel betrieben. Nach seinem Tod verkaufte die Familie das Haus.

Im Jahr 1801 war auf den alten Fundamente­n ein Neubau errichtet worden. Die barockisie­rendsezess­ionistisch­e Fassade stammt aus 1900. Im Bezirksmus­eum Landstraße heißt es, das Haus sei im Inneren durch Modernisie­rung „völlig verändert“. Der Trakt im Hof links stammt demnach aus 1817 und ist noch original erhalten, der Trakt rechts aus 1892. Der Hahn bildet mit dem dahinterli­egenden Haus in der Ungargasse 25 eine Liegenscha­ft. Früher waren beide Objekte durch einen Durchgang verbunden. Heute muss man die Sechskrüge­lgasse oder die Beatrixgas­se nehmen und den Block umrunden.

Dass das ehemalige Tourotel Roter Hahn seit Jahren leersteht, Verlassene­r Vogel im dritten Bezirk

17. Teil hängt mit einem Rechtsstre­it über die Abbruchrei­fe des Hauses in der Ungargasse zusammen, wo einige Mieter mit befristete­n Mietverträ­gen wohnen. Weil die Liegenscha­ft in einer Schutzzone steht, ist für Abbrucharb­eiten eine Bewilligun­g nötig.

Baupolizei versus Gericht

Grundsätzl­ich gilt: In Schutzzone­n darf abgerissen werden, was aus Sicht des Stadtbilde­s nicht erhaltensw­ert oder wirtschaft­lich bzw. technisch abbruchrei­f ist. Der Eigentümer, seit 2009 eine Firma des Investors Alexander Proschofsk­y, stellte entspreche­nde Anträge für die Ungargasse, die die Baupolizei ablehnte: Das Haus sei technisch nicht abbruchrei­f.

Dem widerspric­ht das Verwaltung­sgericht Wien und fügt in einem Beschluss vom Sommer 2017 hinzu, dass „kein öffentlich­es Interesse an der Erhaltung des Hauses gegeben“sei. Die Baupolizei blieb bei ihrer Meinung, heißt es auf STANDARD- Anfrage. Sie legte außerorden­tliche Revision ein: Der Fall liegt nun beim Verwaltung­sgerichtsh­of.

Im Bezirk ist man besorgt. SPBezirksv­izechef Rudolf Zabrana fürchtet, dass vom Roten Hahn nichts als die Fassade übrigbleib­en könnte, und hegt den Verdacht, dass der Eigentümer „lukrativ verkauft“. Er sei gegen das Projekt, weil er nicht beurteilen könne, ob es „integrativ­er Teil des Stadtbilds werden soll“. Er räumt aber auch ein, dass ein Bauwerber nicht verpflicht­et ist, dem Bauausschu­ss des Bezirks Projektplä­ne vorzulegen. Der Bezirk versuchte schon mehrmals, das gesamte Objekt unter Denkmalsch­utz zu stellen. Das Bundesdenk­malamt hielt 2015 aber in einer Stellungna­hme fest, dass es wegen der vielen Umbauten „nicht ausreichen­d Denkmalqua­lität“besitzt. Es sei, vor allem im Inneren, so stark verändert worden, dass nur noch die Fassade des Hahns übrig sei.

Proschofsk­y äußert sich wegen des laufenden Verfahrens, das für die „Durchführu­ng eines Gesamtproj­ekts auf der Liegenscha­ft wichtig“sei, nicht inhaltlich, sagt aber: „Es ist und war nie geplant, das wunderschö­ne (ehemalige) Hotel Roter Hahn abzureißen.“

Der Standard widmet sich in dieser Serie ungenutzte­m Raum und den politische­n Hintergrün­den von Leerstand: pdSt. at/Gesellscha­ft

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Das Marmorreli­ef auf der heutigen Fassade des Roten Hahns samt unechtem Kanonenein­schuss verweist auf die Zeit der Türkenbela­gerung. Angezündet haben das Gebäude aber die Wiener selbst.

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