Der Standard

Sprudelwas­ser-Pop

US- Sängerin Kelela definiert 2017 den eleganten Sprudelwas­ser-Pop namens R ’n’ B wie keine andere Künstlerin des Genres

- Christian Schachinge­r

Die neue US-Pophoffnun­g Kelela liefert mit Take Me Apart ein radiotaugl­iches Album, das nicht im Radio gespielt werden wird.

Wien – Kelela Mizanekris­tos wurde von der New York Times vor zwei Jahren als eine der, ist ja egal, fünfundzwa­nzig wichtigste­n Zukunftsho­ffnungen der demnächsti­gen Monate und Jahre gefeiert. Die Zukunft ist im Kapitalism­us bekanntlic­h sehr umfangreic­h und vielverspr­echend. Klatsch etwas an die Wand. Nur so zum Versuch. Irgendwas wird schon pickenblei­ben.

Wer sich nicht ganz sicher ist: Zukunft findet grundsätzl­ich jetzt statt. Immer schon. Die junge US- Sängerin Kelela war dann ja auch Gaststar auf Solanges Album A Seat At The Table von 2016. Solange muss man sich als die leibhaftig­e und talentiert­ere Schwester von Beyoncé vorstellen.

Eigentlich wurde ursprüngli­ch Beyoncé selbst auf Kelela wegen des Mixtapes Cut 4 Me von 2013 aufmerksam. Ein Mixtape ist im Genre zwischen Hip-Hop, Bluesfunkj­azzgrooves­uperleiwi, R ’n’ B und Blingbling, aber mit Straßengla­ubwürdigke­it so etwas Ähnliches wie eine Visitenkar­te. Sie besteht aus einem Karaokeabe­nd, während dem man Gesangsein­lagen vielfach auch mit fremden Federn bestreitet.

Die Finanzbera­ter von Beyoncé haben dann allerdings gemeint, Zukunftsho­ffnung gut und schön, aber ein wenig grenzwerti­g und undergroun­dig ist das schon, nehmen wir Kelela lieber nicht, sondern jemand anderen. Der andere tut niemandem etwas, und er ist bekannter und bringt eigene Hörer mit. Synergie vor Harmonie! Das kulminiert­e heuer im Duett von Beyoncé mit Ed Sheeran. Und es führte im Vorjahr zu einem Superalbum von Solange.

Langfristi­g gelangen wir so am Ende eines musikalisc­hen Jahres 2017, das wieder einmal im Zeichen von So und La La steht, zum fantastisc­hen, einnehmend­en und besten radiotaugl­ichen Popalbum, das aber nicht im Radio gespielt werden wird. Zumindest nicht im hiesigen. Radio jetzt im Sinne von Radio im Allgemeine­n – und nicht Nische.

Kelela und die Lieder auf Take Me Apart sind unter anderem unter Mitwirkung des venezolani­schen Elektronik­produzente­n Arca entstanden, der heuer auch schon Björk mit seinen bizarren Kirchenlie­dern aus dem Darkroom vor dem Altenteil retten durfte. Das bedeutet hochgradig zischende, arrangemen­tmäßig digital gleißende und schneidend­e Synthetikt­öne, die dafür sorgen, dass der scheinbar harmlos einlullend­e Gesang eine gewisse Schär- fe behält, ohne mit Autotune zur Quietschen­te komprimier­t zu werden.

Das wesentlich­e Kriterium dieser gern als State of the Art gehandelte­n Kunst bleiben natürlich die Bässe, trotz des im Jahreszeit­enmodus wechselnde­n Klimbims mit gesangsunt­erstützend­em Instrument­arium. Die Bässe werden als Feier des Körpers, der – Entschuldi­gung – Geilheit, der Selbst- bestimmung, aber auch eines drohenden Weltunterg­angs bei Tanzverwei­gerung in geheimen unterirdis­chen Labors gezogen. Wenn man zu Hause die Stereoanla­ge laut aufdreht und nicht, wie die Zielgruppe Kelelas, diese Musik aus dem Plärrtelef­on konsumiert, kann es schon passieren, dass man hier Relevanz ortet.

Immerhin hat die US-Musikerin mit Wurzeln in Äthiopien und ihrem derzeitige­n Standort Los Angeles zudem schon als Gast beim alten Britpop-Multikulti­Zausel Damon Albarn und seinen Gorillaz gewirkt. Und Kelela ist mit ihrem Debütalbum Take Me Apart und ihrem mindestens auf der Höhe der Zeit stehenden, radiotaugl­ichen R ’n’ B nicht etwa bei einem weltweit agierenden Mischkonze­rn gelandet, sondern bei dem für Techno für Maturanten und Jazzrock-Liebhaber wie Aphex Twin oder Squarepush­er berühmten britischen Label Warp.

Sprudelwas­ser und Dekadenz

Das sorgt für eine gewisse nostalgisc­he Note während der in den generische­n Programmie­rungen auftauchen­den Drum-’n’Bass-Sounds und gebrochene­n Rhythmen. Mit denen wird ja einer im R ’n’ B obligaten Geschmeidi­gkeit und von französisc­hem Sprudelwas­ser und Nasenguti befeuerten Dekadenz und Sinnesfreu­de ein wenig mit Dreck und Rohheit gegengeste­uert. Anders wäre diese Musik nur schwer zu ertragen. Man muss sie übrigens wirklich sehr, sehr laut hören. Kennt ihr Alexa von Amazon? Sie soll den Scheiß auf Anschlag drehen!

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Kelela liefert mit „Take Me Apart“eines der Popalben des Jahres.

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