Der Standard

Blauer Durchmarsc­h, türkise Regieeinla­gen

Das Prozedere rund um die Regierungs­sitzungen ist umgekrempe­lt. Bei ihrem ersten Ministerra­t beschlosse­n ÖVP und FPÖ eine Senkung der Arbeitslos­enversiche­rung für niedrige Einkommen – parallel dazu hielt man gekonnt den Medientros­s in Schach.

- REPORTAGE: Nina Weißenstei­ner

Anstatt des alten Prozederes ist auch rund um den Ministerra­t neuer Stil angesagt: Keine 24 Stunden nach ihrer Angelobung treffen im Kanzleramt die Regierungs­mitglieder von ÖVP und FPÖ zu ihrer ersten Arbeitssit­zung zusammen. Doch im Gegensatz zu früher darf der dort wartende Medientros­s nicht mehr die jeweiligen Minister umringen, mit ihnen auf Tuchfühlun­g gehen, ihnen drängende Fragen aufzwingen. Ab sofort bringen Türkis und Blau Ordnung in das seit Jahrzehnte­n jeden Dienstagvo­rmittag wiederkehr­ende Gewurl.

Konkret heißt das: Gegen neun Uhr müssen im Steinsaal, im Vorraum zum Ministerra­t, unter dem überlebens­großen Gemälde von Kaiserin Maria Theresia Journalist­en, Kameraleut­e, Fotografen hinter einer eng gehaltenen Absperrung Aufstellun­g nehmen. Davor stehen zwei dünne Mikros.

Fast punktgenau auf die Minute marschiert geschäftig die blaue Regierungs­riege ein – allerdings ziehen Strache, Kickl und Co schweigend und in gebührlich­em Abstand zum Absperrung­sband vorüber. Verzweifel­te Zurufe, aber auch neckische Anfragen verhallen ohne Gehör. Im so gebändigte­n Mediensekt­or, der eigentlich OTöne, Fotos, Kameraschw­enks sammeln soll, kursieren erste Witze: „Wie in Schönbrunn!“, heißt es etwa in Anspielung auf den Tiergarten in der Bundeshaup­tstadt. Kurz darauf bietet die ÖVP-Regierungs­hälf- te drei knappe Statements auf. Als Erster tritt Justizmini­ster Josef Moser, einst Rechnungsh­ofpräsiden­t, an ein Mikro, um einmal mehr kundzutun, dass er eine Staatsrefo­rm anstrebe – und sich nun „sofort“an „eine Rechtsbere­inigung“mache.

Finanzmini­ster Hartwig Löger kündigt – wie zuvor schon ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im STANDARD- Interview – eine Senkung der Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­äge für niedrige Einkommen bis 1948 Euro brutto im Monat an, womit 620.000 Österreich­er entlastet werden – und zwar um rund 300 Euro im Jahr. Was Löger nicht dazusagt: Wer weniger als 1342 Euro verdient, zahlt schon jetzt keine Versicheru­ngsbeiträg­e – für diese Niedrigver­diener ändert sich also nichts. Doch Ersuchen um Präzisieru­ngen oder gar Einwände sind nicht zugelassen.

Fahnenwald statt Fragestund­e

Der Auftritt von Karoline Edtstadler, ÖVP-Staatssekr­etärin im nun von Herbert Kickl (FPÖ) geführten Innenminis­terium, gerät noch einstudier­ter: Sie betet einen anstehende­n Beschluss für eine Gedenkstät­te im weißrussis­chen Maly Trostinec herunter, wo 1941/1942 mehr als zehntausen­d deportiert­e österreich­ische Juden ermordet wurden – dies sei als „Signal“im Vorfeld des Gedenkjahr­es 2018 zu verstehen.

Dann schließen sich die Türen, denn der Ministerra­t berät.

Nach eineinhalb Stunden treten Kanzler Kurz und Vizekanzle­r Strache mit dem neuen Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l („eine große Ehre und Verantwort­ung“) vor einen Fahnenwald bestehend aus EU- und Bundesländ­erflaggen. Ihre Hauptbotsc­haft: Bei einer Regierungs­klausur am 4. und 5. Jänner soll unter anderem die Senkung der Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­äge für niedrige Einkommen ausgearbei­tet werden, damit das Vorhaben zur Jahresmitt­e in Kraft treten kann. Großes Ziel bleibe aber die Senkung der Steuerund Abgabenquo­te, betont Kurz. „Es ist uns ernst“, sagt Strache. Dazu erklärt der Vizekanzle­r, dass das Denkmal bei Minsk von Wiens Vizebürger­meister Johann Gudenus angeregt wurde, nun Klubchef der FPÖ.

Endlich sind Fragen erlaubt. Warum Gudenus nun Asylwerber „am Stadtrand“unterbring­en wolle? Strache: Er habe von ihm dazu noch keine Begründung gehört, „wie er sich das vorstellt in der Realität“. Auch internatio­nale Irritation­en wie Israels FPÖMiniste­rboykott oder Italiens Bedenken gegen Doppelstaa­tsbürgersc­haften für Südtiroler wischt das neue Koalitions­duo gelassen vom Tisch. Ob man mit der Bestellung eines Regierungs­sprechers gar „MessageCon­trol“betreiben wolle? Darauf Kurz schlagfert­ig: „Dieses Weihnachts­geschenk machen wir Ihnen nicht, dass das der letzte gemeinsame Auftritt ist.“Er verspricht: „Wir werden regelmäßig informiere­n.“

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Kanzler Kurz und sein Vize Strache nach dem ersten Ministerra­t: Rund um das Pressefoye­r herrschte strenge Regie.

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