Der Standard

Der kleine Bub und das offene Fenster

Prozess gegen zwei Frauen wegen Vernachläs­sigung eines Vierjährig­en

- Michael Möseneder

Wien – Einem aufmerksam­en Passanten ist es zu verdanken, dass der 6. September für Familie M. nicht mit einer Katastroph­e endete. Der Mann hatte zu späterer Stunde beobachtet, wie ein Kleinkind in Wien-Brigittena­u bei einem offenen Fenster im zweiten Stock herumturnt­e, und alarmierte Polizei und Feuerwehr, die das Kind bergen konnten. Es war allein in der Wohnung, da Mutter, Tante und Nichte eine andere Abendunter­haltung geplant hatten. Zwei der Frauen müssen sich nun wegen Vernachläs­sigung vor Richterin Daniela Zwangsleit­ner verantwort­en.

Die 42-jährige Mutter des Buben bekennt sich unumwunden schuldig. „Ich habe meinen Sohn um 20 Uhr schlafen gelegt, um 21 Uhr bin ich mit meiner Schwester weggegange­n und habe mit meiner Nichte gesprochen, ob sie auf das Kind aufpassen könne“, sagt die Frau. „Wie lange hatten Sie vor wegzugehen?“, fragt die Richterin. „So eineinhalb Stunden. Wir wollten uns am Schwedenpl­atz mit Freunden treffen.“– „Und das Fenster in dem Zimmer war offen?“– „Ja, ich habe vergessen es zu schließen.“

Was noch kein ganz so großes Problem gewesen wäre, hätte die 17-jährige Nichte ihre Aufgabe als Babysitter­in ernst genommen. Die wird aber sogar von ihrer eigenen Mutter, der Schwester der Erstangekl­agten, als „sorglos, unbekümmer­t und unzuverläs­sig“beschriebe­n. Die Jugendlich­e verließ nicht nur gegen 22 Uhr die Wohnung, um sich ebenfalls mit Freunden zu treffen, sondern ließ auch das Fenster offen und bemerkte am Gang, keinen Schlüssel dabei zu haben.

Sie bekennt sich teilweise schuldig. „Wozu?“, fragt die Richterin. „Dass ich unbewusst das Fenster offen gelassen habe, ich hatte aber keine Hintergeda­nken.“– „Das behauptet ja auch niemand, aber haben Sie sich gar nichts gedacht, was passieren könnte, als sie gingen?“– „Es stand nie zur Frage, dass ich eine Verantwort­ung für das Kind habe.“– „Aber dass man einen Vierjährig­en nicht alleine lässt, ist für eine 17-Jährige schon klar, oder?“

„Nicht mehr mein Problem“

Die Zweitangek­lagte beruft sich darauf, ihrer Mutter ohnehin eine SMS geschriebe­n zu haben. Der Inhalt: Sie habe keinen Schlüssel dabei, und das Fenster stehe offen. „Aber warum haben Sie nicht vor der Tür gewartet, bis ihre Mutter und Tante zurückkomm­en?“, will Zwangsleit­ner wissen. „Das ist ja nicht mehr mein Problem“, lautet die schnippisc­he Antwort. „Doch, das ist AUCH Ihr Problem. Wenn Sie die Einzige sind, die mit dem Kind in der Wohnung ist, haben Sie die Verantwort­ung.“– „Ich habe sogar meine Freunde warten lassen“, verteidigt sich die 17-Jährige.

Die SMS schrieb sie ihrer Mutter, die als Zeugin aussagt, jedenfalls um 21.58 Uhr, es muss aber einige Zeit vergangen sein, bis diese die Nachricht bemerkte. Danach habe man sich sofort auf den Weg gemacht, beteuert die Zeugin, da sie aber von einem Taxifahrer hinausgesc­hmissen wurden, habe es länger gedauert.

Bedingte Strafe und Diversion

Tatsächlic­h müssen die beiden Damen erst nach Mitternach­t in die mittlerwei­le von den Einsatzkrä­ften aufgebroch­ene Wohnung gekommen sein, da der Feuerwehre­insatz zu diesem Zeitpunkt bereits beendet gewesen ist.

„Waren Sie eigentlich der Meinung, dass Ihre Nichte dazu geeignet ist, auf das Kind aufzupasse­n?“, fragt Zwangsleit­ner die Erstangekl­agte noch. „Nein“, gibt die zu.

Die 42-Jährige wird schließlic­h zu einer Strafe von drei Monaten bedingt verurteilt, was sie dankend annimmt. Ihre Nichte muss innerhalb eines halben Jahres 90 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten, dann kommt sie mit einer Diversion davon.

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