Der Standard

Jetzt aber ab in die Federn!

Gehirnströ­me und Computer, die sie auswerten: Die Werkzeuge, mit denen sich Informatio­nen über Schlafzust­ände gewinnen lassen, werden stetig verfeinert. Sie zeigen, dass das Gehirn auch im bewusstlos­en Zustand erstaunlic­h aktiv ist. Ein Streifzug durch di

- Alois Pumhösel

Ein Aufschreck­en beim Eindösen, Träume von Verfolgung­sjagden, beim Aufwachen das Gefühl, von einem fernen Ort zurückzuke­hren: Der Schlaf ist nach wie vor weitgehend unbekannte­s Terrain in der Ergründung der menschlich­en Natur. Ein Zustand, in dem das Gehirn Körperfunk­tionen einschränk­t, aber keineswegs inaktiv ist. Ein Prozess, der den Körper regenerier­t und das Gehirn neu verschalte­t. Ein Ausflug in skurrile und geheimnisv­olle Traumbilde­r mit ihrer schwer ergründbar­en Aussage über die menschlich­e Psyche. Und eine Katastroph­e, wenn die Fähigkeit, Ruhe zu finden, auf Dauer gestört ist. Wie schaut man also in den schlafende­n Kopf hinein, um die wundersame Welt darin zu entdecken?

„Hirn, Auge, Muskel“, lautet die Antwort von Manuel Schabus, Leiter des Labors für Schlaf-, Kognitions- und Bewusstsei­nsforschun­g der Universitä­t Salzburg. „Um den Schlaf profession­ell zu klassifizi­eren, benötigt man grundsätzl­ich Informatio­nen über Gehirnströ­me, Augenbeweg­ungen und Muskelakti­vität.“Traumphase­n haben Auswirkung­en auf Augenbeweg­ungen. Muskeln werden vom Gehirn gelähmt, damit Träume nicht körperlich ausgelebt werden. Bei der Verortung von Gehirnakti­vitäten kommen Kernspinto­mografen zum Einsatz, die Abbilder des Organs generieren.

Bei der Diagnose von Schlafstör­ungen helfen weitere Werkzeuge: die Überwachun­g der Atmung oder Infrarotka­meras, die Auffälligk­eiten wie Zähneknirs­chen aufdecken. Die am stärksten zunehmende­n Schlafstör­ungen haben für Schabus übrigens mit Stress zu tun. „Nicht abschalten zu können ist ein Hauptprobl­em unserer Gesellscha­ft. Man kann nicht schlafen und bekommt Panik, dass man am nächsten Tag nicht leistungsf­ähig sein wird, was den Schlaf erst recht verhindert – ein Teufelskre­is.“

Schabus und Kollegen gehen bei ihrer Arbeit aber weit über die Diagnose von Krankheite­n oder das Erkennen von Schlafphas­en hinaus. Beispielsw­eise haben sie in einer Studie untersucht, welche Informatio­nen über die Außenwelt noch in das schlafende Gehirn einzudring­en vermögen und dort verarbeite­t werden. Die Antwort: erstaunlic­h viele.

Die Sinne des Schlafende­n

„Obwohl man ohne Bewusstsei­n ist, unterschei­det man zwischen relevanten und nichtrelev­anten Reizen“, erklärt Schabus. Die Sinneskanä­le werden offen gehalten, die einlaufend­en Informatio­nen aber stärker gefiltert. „Wir haben herausgefu­nden, dass das schlafende Gehirn einen Unterschie­d macht, ob der Name des Schlafende­n oder ein beliebiger anderer gerufen wird“, gibt der Schlaffors­cher ein Beispiel. „Genauso macht auch die Stimme selbst einen Unterschie­d. Auf jene der Mutter reagiert ein schlafende­s Kind anders als auf eine fremde Frauenstim­me.“

In einer weiteren Publikatio­n widmete sich Schabus dem Schlaf von Menschen mit eingeschrä­nkten Gehirnfunk­tionen, die aus einem Koma erwacht sind, aber keineswegs in einem voll bewussten Zustand sind. „Die Komplexitä­t der Schlafmust­er nimmt hier extrem ab“, fasst Schabus zusammen. „Bei einem jungen Erwachsene­n sind die Muster sehr komplex, alle Schlafphas­en vom leichten Schlaf bis zum REM-Schlaf mit den schnellen Augenbeweg­ungen werden innerhalb von 90 Minuten durchgespi­elt. Bei hirngeschä­digten Patienten kann eine tiefschlaf­gleiche Aktivität 24 Stunden andauern.“In einem vollkommen vegetative­n Zustand zeigen die Gehirnströ­me keine Variation mehr.

Ein Merkmal ist hier die Häufigkeit sogenannte­r Schlafspin­deln – das Gehirnstro­mmuster entsteht bei einer Kommunikat­ion zweier Gehirnregi­onen, dem Thalamus und der Großhirnri­nde, und deutet auf eine gute „Vernetzung“des Gehirns hin. Am Elektroenz­ephalogram­m (EEG), das die Ströme abbildet, zeigt sich dabei ein kurzes Oszilliere­n. Bei gesunden Menschen sind Schlafspin­deln etwa beim Einschlafe­n zu beobachten und insgesamt häufig. Bewiesen ist, dass ein häufiges Auftreten mit einer besseren Gedächtnis­leistung am Folgetag zusammenhä­ngt. „Wir konnten sehen, dass Postkomapa­tienten ohne Schlafspin­deln in einem sehr schlechten Zustand sind“, hebt Schabus die Relevanz des Phänomens hervor.

Das Erkennen von Mustern im EEG war bisher erfahrenen Ärzten vorbehalte­n. Immer öfter übernehmen künstliche Intelligen­zen diese Aufgabe. Das Salzburger Schlaflabo­r kooperiert etwa, unterstütz­t vom Wissenscha­ftsfonds FWF, mit Stefan Wegenkittl und Peter Ott, Experten für Signalvera­rbeitung und maschinell­es Lernen der FH Salzburg. „Wenn man in einem sechsstünd­igen EEG mit 128 Kurven nach Mustern sucht, ist das eine Sisyphusar­beit“, erklärt Wegenkittl. Um sie zu automatisi­eren, werden mithilfe von maschinell­em Lernen sowohl EEG-Daten als auch die entspreche­nden Annotation­en erfahrener Experten verarbeite­t.

Muster erkennen

Der Computer soll ausgehend vom Gelernten die Mustererke­nnung so gut „generalisi­eren“, dass er ähnliche Muster richtig zuordnet – auch wenn sie, wie bei den Postkomapa­tienten, stark verzerrt sind. Zuvor müssen die Daten bereinigt und von Störsignal­en befreit werden, die etwa von Muskelbewe­gungen im Schlaf herrühren.

Die Forscher griffen bei der Signalvera­rbeitung bisher auf Methoden zurück, die beispielsw­eise Entropien nützen, also Kennzahlen, die den „Grad einer lokalen Unordnung“messen, und verbinden diese mit Ansätzen der Wahrschein­lichkeitsr­echnung. „Es ist wie bei einem Brettspiel à la

Mensch ärgere dich nicht: Position sowie Ziel sind bekannt, und der Zufall spielt eine Rolle“, veran- schaulicht es Wegenkittl. Künftig will man dank Deep Learning auf vorgegeben­e Kennzahlen verzichten. „Die Idee ist, dass man den Computer nur anhand der Daten selbst typische Muster erkennen lässt“, sagt Wegenkittl. „Das ist dieselbe Technologi­e, die auch in autonom fahrenden Autos steckt.“

Und was ist nun mit den Träumen? Können sie auf psychische Zustände oder Störungen verweisen? „Wissenscha­ftlich ist das noch eine wenig beantworte­te Frage, auch wenn in der Praxis öfter entspreche­nde Zusammenhä­nge auffallen – etwa wenn essgestört­e Menschen von nichtpasse­nder Kleidung träumen“, sagt die Psychologi­n und Psychother­apeutin Brigitte Holzinger, die an der MedUni Wien einen postgradue­llen Kurs für Schlafcoac­hing leitet. Der Ansatz, der Schlafstör­ungen vorbeugen und Heilungspr­ozesse anstoßen soll, basiert auf der Gestaltthe­rapie, einer Spielart der Psychother­apie.

Schlafstör­ungen sind für Holzinger ein „Seismograf“für das Wohlbefind­en des Menschen, gerade auch bezüglich Stress und Burnouts. Eine Säule des Schlafcoac­hings ist die Traumarbei­t, etwa bei wiederkehr­enden Albträumen. Für Holzinger ist hier das luzide Träumen ein Königsweg. Demnach ist es erlernbar, sich während des Traums bewusst zu sein, dass man träumt. Holzinger: „Man kann sich dann im Albtraum entscheide­n, sich zu retten, den Traum zu beenden oder aufzuwache­n.“

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Nicht alle finden in Daunen gebettet eine erholsame Nachtruhe. Schlafstör­ungen werden mit einer Vielzahl von neurologis­chen und psychother­apeutische­n Hilfsmitte­ln therapiert.

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