Der Standard

Die Rechtsphil­osophin erforscht, wie Recht emanzipato­risch wirken kann – nun erhielt die Professori­n der Universitä­t Wien dafür den Possanner-Staatsprei­s.

Elisabeth Holzleithn­er

- Brigitte Theißl

PORTRÄT:

Was ist gerecht? Elisabeth Holzleithn­er, Professori­n für Rechtsphil­osophie und Legal Gender Studies, hat ein Buch über diese schwierige Frage geschriebe­n, ein Buch, in dem sie der Gerechtigk­eit als „ebenso bedeutsame­s wie umstritten­es Ideal menschlich­en Umgangs“beschreibt. Dass Rechtswiss­enschafter über Gerechtigk­eit nachdenken, ist innerhalb der Disziplin nicht selbstvers­tändlich. Anhänger der Reinen Rechtslehr­e ziehen eine strikte Line zwischen der Rechtswiss­enschaft und ethischen Überlegung­en. Eine Grenze, die grundsätzl­ich nicht haltbar sei, ist Holzleithn­er überzeugt – und nennt ein aktuelles Beispiel: „Wenn der Verfassung­sgerichtsh­of darüber entscheide­t, ob der Ausschluss gleichgesc­hlechtlich­er Paare von der Ehe diskrimini­erend ist, fließen selbstvers­tändlich auch Gerechtigk­eitserwägu­ngen ein.“

Fragen der Gerechtigk­eit widmen sich auch die Legal Gender Studies. „Ich gehe davon aus, dass die Gesellscha­ft nicht geschlecht­ergerecht ist, daher brauche ich Wissen, wie Recht emanzipato­risch eingesetzt werden kann“, sagt Holzleithn­er. Die Vorständin des Instituts für Rechtsphil­osophie lehrt am Wiener Juridicum und ist Pionierin an ihrer Fakultät – erst 2014 wurde die Professur für Legal Gender Studies eingericht­et. Für ihr „herausrage­ndes und ausdauernd­es Engagement bei der Förderung der Geschlecht­erforschun­g“erhielt die 47-Jährige vergangene Woche den GabrielePo­ssanner-Staatsprei­s des Wissenscha­ftsministe­riums, einen Preis, der 1997 eingericht­et wurde und an die erste Verleihung eines akademisch­en Grades an eine Frau in Österreich erinnert. Bereits zum zweiten Mal ist Holzleithn­er Preisträge­rin – 2001 wurde ihr der Förderprei­s zuerkannt.

Studentisc­he Neugier

Geschlecht­erforschun­g begleitet Holzleithn­er schon seit ihrer Studienzei­t – in den 1990er-Jahren wurde diese allerdings noch Frauenfors­chung genannt. An den Text, der ihr die Augen öffnete für die blinden Flecken in der Rechtswiss­enschaft, erinnert sich Holzleithn­er noch gut. Es war „Der verallgeme­inerte und der konkrete Andere“der US-amerikanis­chen Philosophi­n Seyla Benhabib, die darin Ansätze einer feministis­chen Moraltheor­ie skizziert. „Diesen blinden Flecken wollte ich von da an nachspüren“, sagt Holzleithn­er.

Lehrverans­taltungen zu feministis­cher Theorie wurden am Juridicum allerdings noch keine angeboten, als sie 1988 für das Rechtswiss­enschaftss­tudium von Saalfelden nach Wien zog. „Eigentlich wollte ich überhaupt nicht Rechtswiss­enschaft studieren. Das ist mir immer wie ein Verlegenhe­itsstudium vorgekomme­n. Etwas, das man studiert, wenn man nicht weiß, was man sonst machen soll“, sagt die Juristin.

Es war ein Film, der sie schließlic­h zum Umdenken bewegte: Das Urteil von Nürnberg. Gespenstis­ch und fasziniere­nd zugleich wirkte er auf die Schülerin. Wie wird ein so grauenvoll­es Verbrechen rechtlich abgehandel­t, wie konnte eine Rechtsordn­ung in jeder Hinsicht zusammenbr­echen und nicht mehr in der Lage dazu sein, Gerechtigk­eit zu verbürgen? „Das hat mich sehr beschäftig­t, und ich wollte wissen, was die Gesellscha­ft zusammenhä­lt“, erinnert sich Holzleithn­er zurück.

Der Wunsch, als Diplomatin zu arbeiten, verflüchti­gte sich schnell, früh startete Holzleithn­er ihre wissenscha­ftliche Karriere. Im sechsten Studiensem­ester wurde sie Studienass­istentin, nach dem Abschluss des Magisterst­udiums arbeitete sie weiter am Institut für Rechtsphil­osophie und Rechtstheo­rie, 2006 erhielt sie eine Assistenzp­rofessur, nach ihrer Habilitati­on wurde sie 2011 außerorden­tliche Professori­n.

Gender Studies unter Beschuss

Holzleithn­er ist nicht nur Leiterin des Instituts für Rechtsphil­osophie, sie steht auch dem Forschungs­verbund Geschlecht und Handlungsm­acht an der Uni Wien als Sprecherin vor. So wie ihr eigenes wissenscha­ftliches Interesse breit gestreut ist – Holzleithn­er publiziert­e bereits zu Pornografi­e, medizinisc­hen Geschlecht­erdiskurse­n und dem Universitä­tsgesetz 2002 –, legt sie auch großen Wert auf interdiszi­plinäre Forschung. „Vom Wissen aus ganz unterschie­dlichen Diszipline­n können wir unglaublic­h profitiere­n, die Zusammenar­beit verändert auch den Blick auf das eigene Feld“, sagt die Juristin.

Dass gerade Forschungs­projekte in den Gender Studies nicht immer auf Gegenliebe stoßen, weiß Holzleithn­er aus eigener Erfahrung: „Es ist eine sehr unangenehm­e Situation. Da kommen Angriffe von außen, die von Abwehr und von Ahnungslos­igkeit zeugen.“Allen voran rechte und rechtskons­ervative Autoren und Politiker haben sich in den vergangene­n Jahren auf die Gender Studies eingeschos­sen und zeichnen ein dämonische­s Bild der Disziplin und ihrer Konzepte. „Kinder seien bedroht, es wird ein Verfall von Männlichke­it und Weiblichke­it beklagt und mit dem Vorwurf der Frühsexual­isierung kombiniert“, sagt Holzleithn­er. Aber auch als gänzlich unwissensc­haftlich wird die Geschlecht­erforschun­g von ihren Gegnern gerne diskrediti­ert.

Queere Gleichstel­lung

Neben den Gender Studies zählt auch die Queer Theory zu den Forschungs­schwerpunk­ten der Juristin. Dass der Verfassung­sgerichtsh­of den Weg für die Ehe für alle freigegebe­n hat, freut sie angesichts des Umgangs mit Homosexual­ität im österreich­ischen Recht besonders. „Im Gegensatz zum Gewaltschu­tz etwa, wo österreich­ische Gesetze federführe­nd waren, hat der Gesetzgebe­r bei der Gleichstel­lung gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften vieles nicht selbst geschafft“, sagt Holzleithn­er. Noch vor wenigen Jahren judizierte der Verfassung­sgerichtsh­of, es sei verfassung­skonform, gleichgesc­hlechtlich­e Partner nicht zum Standesamt zuzulassen – nun vertritt er das Gegenteil. „Eine sensatione­lle Entwicklun­g“, so die Juristin.

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