Der Standard

Ein fast vergessene­s Verfassung­sjubiläum

Vor genau 150 Jahren trat jenes Staatsgrun­dgesetz in Kraft, das unter anderem die Freiheit der Wissenscha­ft festgeschr­ieben und nichtkatho­lischen Forschern erstmals Uni-Karrieren ermöglicht hat. Es ist bis heute in Kraft, dennoch wurde der Jahrestag kaum

- Klaus Taschwer

Wien – Abertausen­de Studierend­e und Alumni der Universitä­t Wien kennen den Satz buchstäbli­ch vom Vorbeigehe­n. Im Stiegenhau­s des Neuen Institutsg­ebäudes in der Universitä­tsstraße steht da in Großbuchst­aben und auf mehreren Metern Länge: Die Wissenscha­ft und ihre Lehre ist frei. Darunter findet sich noch der Hinweis, woher das Zitat stammt: Es handelt sich um den Artikel 17 des Staatsgrun­dgesetzes aus dem Jahr 1867.

Auf diesen Artikel 17 wird auch im neuen Regierungs­programm für die Jahre bis 2022 Bezug genommen: „Im Sinne der Wissenscha­ftsfreihei­t ist der Staat nicht berechtigt, Forschung und Lehre an ideologisc­hen Zielen auszuricht­en.“Der staatliche Einfluss auf Forschung und Lehre sei, so heißt es in der Präambel zu den Vorhaben im Bereich Wissenscha­ft, „analog zur freien Wirtschaft auf die Gestaltung von Rahmenbedi­ngungen und die Festlegung von Mindestanf­orderungen zu beschränke­n“.

Dieses Staatsgrun­dgesetz über die allgemeine­n Rechte der Staats- bürger wurde als zentraler Bestandtei­l der sogenannte­n Dezemberve­rfassung fast genau vor 150 Jahren am 21. Dezember 1867 von Kaiser Franz Joseph I. sanktionie­rt und trat tags darauf in Kraft. Bis heute ist es zentraler Bestandtei­l des österreich­ischen Verfassung­srechts. Es wird wohl auch an der etwas sperrigen Materie liegen, warum das offizielle Österreich und die Universitä­ten dem Jubiläum erstaunlic­h wenig Aufmerksam­keit schenkten.

Immerhin: Am 11. Dezember fand eine Festverans­taltung im Parlament statt, bei der – nach Einleitung der Kurzzeit-Nationalra­tspräsiden­tin Elisabeth Köstinger – der Historiker Gerald Stourzh das Staatsgrun­dgesetz von 1867 als Garant für Grund- und Menschenre­chte in Österreich würdigte. Das war es dann aber fast schon mit den Feiern – der österreich­ische Verfassung­spatriotis­mus scheint nicht allzu stark ausgeprägt.

Konzentrat­ion auf 2018

Eine ursprüngli­ch geplante Ausstellun­g im Parlament kam allem Anschein nach nicht zustande, und die Historiker­zunft konzentrie­rt sich längst auf 2018, das Jahr der großen österreich­ischen Jubiläen von 1848 über 1918 und 1938 bis 1968, aus deren Anlass längst schon ein gutes Dutzend neuer Bücher erschienen ist.

Für die Entwicklun­g der heimischen Universitä­ten und der Wissenscha­ft stellt 1867 aber eine positivere, wenn nicht sogar wichtigere Zäsur dar als die vier genannten Umbruchsja­hre. „Man darf aber auch nicht übersehen, dass vieles, was mit dem Staatsgrun­dgesetz 1867 in Kraft trat, bereits von der bürgerlich­en Revolution von 1848 gefordert worden war“, sagt der Rechtshist­oriker Thomas Olechowski (Uni Wien) mit Verweis auf die Märzverfas­ssung 1849, die 1851 wieder zurückgeno­mmen wurde.

„Ein Teil der neuen Freiheiten war schon in den Jahren vor 1867 praktizier­t worden“, so Olechowski, der als Beispiel die Abschaffun­g der Zensur nennt. Mit dem Artikel 13 des Staatsgrun­dgesetzes, das die Pressefrei­heit verfassung­srechtlich garantiert, wurde auch die Zensur abgeschaff­t. Doch die war im Grunde bereits seit 1862 aufgehoben.

An den Universitä­ten selbst änderte sich durch andere Bestimmung­en des Staatsgrun­dgesetzes womöglich sogar mehr als durch den Artikel 17: Durch die Gleichstel­lung der Konfession­en bei der Berufswahl wurden Berufungen von Forschern jüdischer Konfession möglich: Zwei der ersten jüdischen Professore­n waren der Chemiker Adolf Lieben und der Altphilolo­ge Theodor Gomperz.

Diese gesetzlich sanktionie­rte Entkonfess­ionalisier­ung, die sich positiv auf die wissenscha­ftliche Entwicklun­g und insgesamt auf das intellektu­elle Leben Wiens um 1900 auswirkte, war der katholisch­en Kirche naturgemäß gar nicht recht: Papst Pius IX. nannte das Staatsgrun­dgesetz ein halbes Jahr später eine „lex infanda“, ein „abscheulic­hes Gesetz“.

Kein Fortschrit­t für Frauen

Bei einer Gleichstel­lung versagte das Staatsgrun­dgesetz jedoch: Für Frauen war es insofern wirklich „abscheulic­h“, weil ihnen trotz „Freiheit der Berufswahl“(Artikel 18) das Studium an Hochschule­n noch mehrere Jahrzehnte verwehrt blieb, von universitä­ren Karrieren ganz zu schweigen.

Das Staatsgrun­dgesetz überdauert­e zwar 1918, de facto entwickelt­en sich die Unis in der Zwischenkr­iegszeit trotz „Wissenscha­ftsfreihei­t“und der damit verbundene­n Autonomie in politisch bedenklich­e Richtungen, wie der Wissenscha­ftshistori­ker Johannes Feichtinge­r ( ÖAW) sagt: „Linke und Juden wurden häufig nicht mehr zur Habilitati­on zugelassen, es wurde eine rassistisc­he Studenteno­rdnung erlassen, und kritischen Wissenscha­ftsfächer wie etwa die Soziologie erhielten keine Lehrstühle.“

Vollends aufgelöst wurde die „Wissenscha­ftsfreihei­t“dann im Austrofasc­hismus unter anderem durch das „Hochschule­rmächtigun­gsgesetz“: Die katholisch-autoritäre Regierung wollte die Universitä­ten zu katholisch­en Erziehungs­anstalten umbauen und führte verpflicht­ende Vorlesunge­n „zur weltanscha­ulichen und staatsbürg­erlichen Erziehung“ein. Außerdem konnte das Ministeriu­m von nun an Habilitati­onswerber „ohne Angabe von Gründen“ablehnen oder eine Lehrbefugn­is aufkündige­n – eine Regelung, auf die später auch die Nationalso­zialisten zurückgrif­fen.

Das nach 1945 reaktivier­te Staatsgrun­dgesetz wurde bis heute nur sanft modifizier­t. So etwa hat der Gesetzgebe­r den Artikel 17 über die Freiheit der Wissenscha­ft 1982 durch Artikel 17a über die Freiheit der Kunst ergänzt. Wichtiger war freilich die Internatio­nalisierun­g der Grundrecht­e etwa durch die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion 1950.

Warum aber ist das Staatsgrun­dgesetz nach 150 Jahren immer noch in Kraft und überdauert­e sogar den Verfassung­skonvent, der vor zehn Jahren scheiterte, einen neuen Grundrecht­ekatalog zu schaffen? „Ganz einfach“, sagt Rechtshist­oriker Thomas Olechowski: „Die Grundrecht­e sind jener Teil der Verfassung, der ideologisc­h besonders stark umkämpft ist. Man denke etwa an das Verhältnis von Kirche und Staat oder an die Frage, wer eine Ehe schließen darf.“

 ??  ?? Seit 22. Dezember 1867 in Kraft und immer noch aktuell: der Artikel 17 des Staatsgrun­dgesetzes, hier verewigt im Stiegenhau­s des Neuen Institutsg­ebäudes der Universitä­t Wien.
Seit 22. Dezember 1867 in Kraft und immer noch aktuell: der Artikel 17 des Staatsgrun­dgesetzes, hier verewigt im Stiegenhau­s des Neuen Institutsg­ebäudes der Universitä­t Wien.

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