Der Standard

Von Sammelwahn und kolonialem Nachwirken

Ethnografi­sche Museen sind Orte eines imperialen und kolonialen Erbes. Sie können aber auch Plätze sein, an denen gemeinsam über Exotismen, Ethik und einen sensiblen Umgang mit Objekten reflektier­t wird – so wie es heute auch am Weltmuseum geschieht.

- Katharina Kropshofer

Wien – Wie eine mit Schnüren umwickelte, überdimens­ionale Zigarre liegt sie da, die YurupariTr­ompete aus der Kultur der Makuna im heutigen Kolumbien. Oder zumindest das, was man von ihr sehen kann: Sie ist Teil eines Mythen- und Ritualkomp­lexes und darf deswegen nur in den Blick von erwachsene­n Männern der Gruppe geraten. Sie zu sehen würde für alle anderen eine Gefahr und einen Identitäts­verlust darstellen. Die meisten Makuna dürfen deswegen nur die Musik des sakralen Gegenstand­es hören. Wie aber geht ein Museum im Besitz eines solchen Objekts mit ihm um?

„Wir haben eine Vitrine mit einer Folie verkleidet, sodass man zwar etwas darin erahnen kann, aber nichts sieht“, sagt Claudia Augustat, Kuratorin der Südamerika­sammlung am wiedereröf­fneten Weltmuseum in Wien. Teile der Trompete liegen so im Dunkeln, andere in Blätter gewickelt. Sie ist sich der Verantwort­ung, die der Besitz mit sich bringt, bewusst: „Respekt gegenüber einer anderen Kultur zu zeigen, heißt auch, Grenzen zu respektier­en.“Neben der Vitrine ist lediglich ein Knopf angebracht. Drückt man darauf, erklingen die schiefen, aber beruhigend­en Töne des Instrument­s, die auch von Fremden gehört werden dürfen.

Moderner Kolonialis­mus

Respekt und Sensibilit­ät. Das sind auch Leitlinien des EU-geförderte­n Swich-Projekts, das 2014 vom Weltmuseum initiiert wurde. Es geht darum, Erfahrunge­n, wie zum Beispiel mit dem kultursens­iblen Umgang mit Objekten, zwischen ethnografi­schen Museen in Europa auszutausc­hen. Mit dabei sind zehn Museen aus Ländern wie Schweden, Belgien oder Spanien. Es geht um die Rolle der Museen in einer von Globalisie­rung und Migration geprägten Gesellscha­ft, wie Doris Prlic erzählt, die das Projekt am Weltmuseum betreut. Die Projektlei­tung wird mit Ende des Jahres von Museumsdir­ektor Steven Engelsman an die Kuratorin Augustat übergeben.

Fragen zu Stereotypi­sierungen oder zur Zukunft des Sammelns werden im Projekt genauso thematisie­rt wie der Umgang mit der kolonialen Vergangenh­eit. Anhand von Positiv- und Negativbei­spielen sollen diese Herangehen­sweisen analysiert und bewertet werden. Bei Ausstellun­gen sakraler Gegenständ­e hätten manche Museen in den USA diese lediglich hinter Vorhängen platziert und dem meist weißen Besucher somit selbst überlassen, ob er das Tabu brechen will. „Das ist für mich eine koloniale Herangehen­sweise,“sagt Augustat. Ihr Team würde deswegen versuchen, die betroffene­n Personen selbst zu befragen, um an gemeinsame­n Lösungen zu arbeiten. „Wenn unser kulturelle­s Erbe im Ausland ausgestell­t wird, wollen wir ja auch mitreden.“

Das Nachwirken kolonialer Muster führt dabei in jedem Land zu anderen Fragestell­ungen, so Doris Prlic. Ein am Projekt beteiligte­s belgisches Museum etwa hat mit ehemaligen Kolonien in der heutigen Demokratis­chen Republik Kongo, in Ruanda und in Burundi einen Afrikafoku­s und kooperiert auch mit der dortigen Community. Obwohl die Auf- arbeitungs­frage in anderen Ländern vielleicht dringender erscheint, hat auch Österreich eine koloniale Vergangenh­eit. Durch Expedition­en, Handel und die prinzipiel­le Haltung, die eine Überlegenh­eit der Europäer voraussetz­te, war man auch Teil des kolonialen Projektes.

Exotismen umdrehen

Heute wird ein solches Erbe im Rahmen von Swich aufgearbei­tet, um diese Geisteshal­tung aus den Köpfen zu bekommen. Umgesetzt werden die Ideen in Aktivitäte­n wie experiment­ellen Ausstellun­gen von Menschen mit Diasporaod­er Migrations­erfahrung in den jeweiligen Städten. Eine solche Ausstellun­g ergab sich auch durch die Zusammenar­beit mit der Künstlerin Rajkamal Kahlon, deren Erfahrunge­n während eines zweimonati­gen Aufenthalt­s am Weltmuseum nun in „Staying with Trouble“zu sehen sind.

„Sie hat das Fotoarchiv durchforst­et und geschaut, wie historisch­e Fotografie­n auch noch in die Gegenwart hineinwirk­en“, erzählt Doris Prlic. Da Kahlon ethnografi­sche Museen wegen ihrer Vergangenh­eit als „Instrument­e der imperialen Macht“sieht, veränderte sie Bilder auf unterschie­dliche Weise und versuchte so, Machtverhä­ltnisse umzudrehen. Der Blick wird dabei auf Exotismen von Kulturen gerichtet, die damals Norm waren.

Das Sammeln selbst ist jedoch auch heute noch Alltag. Unterschie­de in der Objektbesc­haffung von damals und heute werden in der Ausstellun­g „Im Schatten des Kolonialis­mus“behandelt. Claudia Augustat reflektier­t im Zuge dessen auch über Erfahrunge­n zu Beginn ihrer eigenen Karriere: „Ich hatte damals nur drei Wochen Zeit und eine Liste, was ich alles sammeln sollte. Es gab zwar eine gewisse Freiwillig­keit, aber die muss man hinterfrag­en, wenn man in einer Welt der Ungleichhe­it lebt.“Bei den Saamaka in Suriname kaufte sie, was man ihr anbot, ohne sich mit den Leuten richtig darüber zu unterhalte­n. „Im Nachhinein habe ich mich gefragt, inwiefern sich das von der Herangehen­sweise vor 100 Jahren unterschie­den hat.“

Heute versucht sie deshalb eine Geschichte zu erzählen, die beide Seiten miteinbezi­eht, um von einem ethnografi­sch-beschreibe­nden Stil wegzukomme­n. Für die aktuelle Aufbereitu­ng einer anderen Sammlung haben die Forscher des Weltmuseum­s deshalb auch mit Vertretern der Sateré-Mawé zusammenge­arbeitet, einem indigenen Volk aus dem Amazonasge­biet Brasiliens. Viele Objektbesc­hriftungen sind aus ihren Zitaten entstanden. Die Sammlung selbst kam mit einer Expedition in Begleitung der habsburgis­chen Erzherzogi­n Leopoldine nach Wien, die 1817 nach Brasilien verheirate­t wurde.

Das Hinterfrag­en der eigenen Vorgehensw­eise spiegelt auch den Kern des Swich-Projekts wider: „Es geht darum, die Vergangenh­eit kritisch zu reflektier­en, aus der Gegenwart zu lernen und zu überlegen, wie man zukünftig am besten weitermach­t“, sagt Doris Prlic. Durch die EU-Kooperatio­n sehe man, was woanders gut funktionie­rt und wo manche scheitern. Es mache die eigene Arbeit einfacher „und auch spannender“, wie Claudia Augustat anmerkt. pwww. swich-project.eu

 ??  ?? Nur erwachsene Makuna-Männer dürfen sakrale Yurupari-Trompeten sehen. Das Weltmuseum zeigt Teile deshalb hinter dunklem Glas oder, wie hier, eingewicke­lt in Blätter.
Nur erwachsene Makuna-Männer dürfen sakrale Yurupari-Trompeten sehen. Das Weltmuseum zeigt Teile deshalb hinter dunklem Glas oder, wie hier, eingewicke­lt in Blätter.

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