Der Standard

„Für Mieter gibt es keine einzige Verbesseru­ng“

Türkis-Blau will das Lagezuschl­agsverbot in Gründerzei­tvierteln, das der VfGH erst jüngst bestätigt hat, aufheben. Im sozialen Wohnbau sollen Einkommens­checks kommen – und ein ganz neues Mietrecht.

- Martin Putschögl Franziska Zoidl

Wien – Die geplanten Maßnahmen für den Bereich Wohnen im neuen Regierungs­programm sorgen für Diskussion­en. Die Eckpunkte lauten: Die Schaffung von Eigentum soll forciert, das Einkommen im sozialen Wohnbau regelmäßig kontrollie­rt und ein neues Mietrecht geschaffen werden. In bestehende Mietverträ­ge soll dabei nicht eingegriff­en werden.

Das gilt auch bei einer weiteren Neuerung: Laut Regierungs­programm soll das derzeit in Gründerzei­tvierteln geltende Lagezuschl­agsverbot „zur Herstellun­g fairer Verhältnis­se“aufgehoben werden. Als Gründerzei­tviertel sind Lagen definiert, in denen ein Großteil der Gebäude zwischen 1870 und 1917 errichtet wurde und die, zumindest damals, überwiegen­d kleine, mangelhaft ausgestatt­ete Wohnungen aufwiesen. Diese Gegenden liegen beispielsw­eise im 15., 16., und 17. Bezirk und sind auf der Lagezuschl­agskarte der Stadt ersichtlic­h.

Während im 1. Bezirk aktuell 10,93 Euro an Lagezuschl­ag pro Quadratmet­er Nutzfläche auf die Richtwertm­iete (in Wien derzeit 5,58 Euro pro Quadratmet­er) draufgesch­lagen werden dürfen, gehen Gründerzei­tviertel leer aus. Das dort geltende Lagezuschl­agsverbot wurde vor einem Jahr vom Verfassung­sgerichtsh­of bestätigt. Es diene einem sozialpoli­tischen Ziel, hieß es, weil damit auch Einkommens­schwache sich Wohnen in Zentrumsnä­he leisten könnten.

Von Mieterschü­tzern wird das Vorhaben der Regierung erwartungs­gemäß kritisiert: „Im Wahlkampf hat es immer geheißen, wie schlecht Wien ist. Jetzt darf man plötzlich überall einen Lagezu- schlag verlangen“, sagt Elke Hanel-Torsch, Wiener Landesvors­itzende der SPÖ-nahen Mietervere­inigung. Sie rechnet damit, dass die Mieten ohne Lagezuschl­agsverbot „stark steigen“werden, und zwar „durch wechselsei­tige Wirkung“auch in anderen Gegenden. Ein Blick auf die Lagezuschl­agskarte lässt vermuten, wie sich das in bestimmten Grätzeln auf die Mieten auswirken könnte. In Gürtelnähe könnten dann etwa sozusagen „auf einen Schlag“zwischen 1,36 und 3,34 Euro an Lagezuschl­ag dazukommen.

„Hunderte Millionen Euro“würden die Neuerungen die Mieter kosten, befürchtet­e SPÖ-Bau- „Das wäre der gefühlte hundertste Konvent in den letzten 20 Jahren“, so Kirnbauer. Kritisch beurteilen Mieterschü­tzer auch die Ankündigun­g, dass „marktkonfo­rme“Mieten schon bald nicht nur in Neubauten, sondern auch in „auf zeitgemäße­n Standard“sanierten Altbauten gelten sollen.

„Vorgaben notwendig“

Wohnbaufor­scher Wolfgang Amann beurteilt die ebenfalls angekündig­te Überprüfun­g des Einkommens im gemeinnütz­igen und kommunalen Wohnbau als regelrecht „demokratie­politisch bedenklich“– und sieht darin auch einen „enormen Verwaltung­saufwand“. fehlen. Maßnahmen zum betreuten Wohnen etwa, oder dass dem Thema Stadt im Programm nur eine halbe Seite gewidmet wird – absurderwe­ise ausgerechn­et im Kapitel „ländlicher Raum“. Er vermisst außerdem das Thema regionsübe­rgreifende Verkehrslö­sungen, ein klares Bekenntnis zu Architektu­r und Baukultur und hält auch die Punkte bezüglich der von der ÖVP im Wahlkampf so stark beworbenen Anhebung der Eigentumsq­uote für „mager“.

Beinahe uneingesch­ränkter Jubel ist aus diversen Verbänden der Immobilien­wirtschaft zu vernehmen. „Von den Überschrif­ten her sehen wir das Programm positiv“, sagt Wolfgang Louzek, Präsident des Verbandes der Institutio­nellen Immobilien­investoren (VII): „Ich hoffe, der Mut bleibt erhalten.“Auch der Österreich­ische Hausund Grundbesit­zerbund sieht im vorgelegte­n Regierungs­programm „viele erste Schritte in die richtige Richtung“.

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