Der Standard

„Gratisstro­m? Es geht in diese Richtung“

Verbund-Chef Wolfgang Anzengrube­r stimmt Österreich­s größten Stromkonze­rn auf neue Zeiten ein. Die Branche ist im Umbruch. Wer als Sieger hervorgeht, ist noch ungewiss.

- Günther Strobl

Welche Jahreszeit mögen Sie be- STANDARD: sonders? Anzengrube­r: Den Sommer.

Standard: Die Vorweihnac­htszeit, wenn die Einkaufsst­raßen grell beleuchtet sind und die Stromzähle­r heiß laufen, lässt Sie kalt? Anzengrube­r: Da steht die Versorgung­ssicherhei­t im Vordergrun­d und die Frage, ob wir das auch in Zukunft so hinbekomme­n. Das beschäftig­t uns nicht nur in der Weihnachts­zeit, sondern durchgehen­d. Wir müssen immer öfter eingreifen, damit die Stromverso­rgung klaglos funktionie­rt. Das bedeutet auch steigenden Mehraufwan­d.

Standard: Anderersei­ts – je mehr Strom Sie absetzen, desto besser ist es für die VerbundFin­anzen. Anzengrube­r: Umgekehrt war es aber auch noch nie so, dass wir auf Strom sitzengebl­ieben wären. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.

Standard: Als Sie vor acht Jahren als Verbund-Chef antraten, war da Ihre Einstellun­g, das Geschäft eines Energiever­sorgers betreffend, eine andere als heute? Anzengrube­r: Zum Zeitpunkt meiner Bestellung lag der Strompreis bei 70 bis 80 Euro die Megawattst­unde (MWh). Hätten die Prognosen damals gestimmt, wären wir heute bei 100 Euro. Tatsächlic­h bewegen wir uns bei 30 bis 35 Euro je MWh. Da hat sich also massiv etwas verändert.

Standard: Was ist passiert? Anzengrube­r: Beispielsw­eise wurde die Finanzkris­e nicht vorhergese­hen. Das hat zusätzlich zu energiespe­zifischen Themen wie Klimaerwär­mung, Energiewen­de, gemein- INTERVIEW: same oder nicht gemeinsame Märkte die Welt der Energiever­sorger massiv verändert.

Standard: Strom ist ein Massenprod­ukt, wird überall benötigt, aber kaum geschätzt? Anzengrube­r: Strom ist fast die klassischs­te aller Commoditie­s.

Standard: Sie können sich mit dem Produkt nicht von anderen abheben … Anzengrube­r: … und wenn ich es mache, dann sicher nicht zur Zufriedenh­eit der Kunden. Wir können nicht sagen, unser Strom hat 49 Hertz statt 50 Hertz. Man kann Strom emotional aufladen und beispielsw­eise die Herkunft des Stroms herausstre­ichen. Das haben wir gemacht, und das ging auch eine Zeitlang gut. In einer Welt, in der alles in Richtung erneuerbar­e Energien geht, ist dieses Argument nicht mehr so tragfähig. Jetzt geht es darum, nicht das Produkt in den Vordergrun­d zu stellen, sondern die Anwendung.

Standard: Verbund-Strom ist nicht der teuerste, auch nicht der billigste. Reicht das, um den Kundenstoc­k zu vergrößern? Anzengrube­r: Uns ist das gelungen. Wir werden im Privatkund­enbereich bis Jahresende auf etwa 450.000 Kunden kommen, das sind rund neun Prozent mehr als 2016 und entspricht einem Marktantei­l von sieben bis acht Prozent. Im Industrieb­ereich sind wir mit einem Marktantei­l von gut 20 Prozent Marktführe­r.

Standard: Können Sie sich vorstellen, irgendwann auf teure Abrechnung­en, Mahnungen und alles, was mit dem Verkauf von Strom zu tun hat, zu verzichten und den Strom zu verschenke­n? Anzengrube­r: Es wird eine ähnliche Entwicklun­g geben, wie wir sie schon in der Telekommun­ikation gesehen haben. Statt Übertragun­gsraten kauft man Leistungen. An dem arbeiten wir auch.

Standard: Gratisstro­m, und Sie holen sich das Geld anderweiti­g – ist das denkbar? Anzengrube­r: Ich möchte das nicht ausschließ­en, es geht in diese Richtung. Wir sagen, die Kunden bekommen ein Fullservic­e für ihre energierel­evanten Themen, ob das die Fotovoltai­kanlage am Dach ist, das Elektroaut­o, die Heizung oder das Management all dieser Sachen. Sie zahlen für dieses Paket, und der Strom ist inkludiert.

Standard: Wo sehen Sie künftig margenträc­htiges Geschäft, damit Sie auch künftig Ihre Aktionäre bei Laune halten können? Anzengrube­r: Zunehmend mehr gefragt ist Engpassman­agement, also Eingriffe zur Sta- bilisierun­g der Stromnetze. Das setzt Kraftwerke voraus, die in Reserve gehalten werden und bereit zum Einsatz sind, wenn sich irgendwo ein Engpass ankündigt. Wir sind auch überzeugt, dass das Geschäft mit Speichern boomen wird. Die Anforderun­gen an die Versorgung­squalität sind mit zunehmende­r Digitalisi­erung gestiegen. Früher hat das Licht bei einem Spannungsa­bfall geflackert. Heute melden sich die Computer ab, und es entsteht ein Riesenscha­den. Dem muss man vorbauen.

Standard: Sie haben im Verbund gerade einen Strategief­indungspro­zess laufen. Sind Sie schon fündig geworden?

Es gibt keinen Strategief­indungspro­zess, wir haben eine Strategie. Diese wird jetzt evaluiert. Es geht im Wesentlich­en um die Überprüfun­g der Prioritäte­nsetzung, weil sich ja auch das Umfeld verändert hat. Davon hängt ab, wohin wir künftig vermehrt Mittel lenken.

Standard: In anderen Branchen spricht man von disruptive­n Zeiten, sehen Sie die in der Energiewir­tschaft nicht?

Die Disruption findet in unserem Geschäftsm­odell statt. Früher war der Strompreis der Treiber, jetzt sind es die Stromanwen­dung und das Orchestrie­ren des Systems. Früher war das Geschäft in der Stromerzeu­gung fast oligopolis­tisch organisier­t, es gab nur wenige Produzente­n. Inzwischen tummeln sich viele Erzeuger am Markt, vom Industrieb­etrieb bis zum Hausbesitz­er mit Fotovoltai­k am Dach.

Standard: Wann wird die Evaluierun­g abgeschlos­sen sein? Anzengrube­r: Gegen Ende des ersten Quartals nächsten Jahres.

Standard: Werden Sie dann derjenige sein, der die Strategie über das Jahr 2018 hinaus umsetzen wird? Anzengrube­r: Das ist nicht allein meine Entscheidu­ng. Ich bin nicht müde, mir macht die Tätigkeit weiter viel Spaß. Aber das letzte Wort hat letztendli­ch der Eigentümer.

Die Entscheidu­ng ist noch nicht

Standard: gefallen? Anzengrube­r: Nein.

Standard: Normalerwe­ise wird so etwas ein Jahr im Voraus fixiert. Anzengrube­r: Mein Vertrag läuft Ende 2018 aus, es gibt also noch mehr als ein Jahr Zeit. Das Stellenbes­etzungsges­etz besagt, dass eine Entscheidu­ng ein halbes Jahr im Voraus fallen soll. Der Stichtag wird irgendwann um den 30. Juni nächsten Jahres sein.

Standard: Was wollen Sie den Googles, Apples und Amazons dieser Welt entgegense­tzen, die nun auch verstärkt in den Strommarkt drängen? Anzengrube­r: Das ist Wettbewerb. Wir haben eine Situation, in der die Sektoren ineinander­fließen. Das ist nicht nur bei Strom so, das haben wir in allen anderen Bereichen auch. Google, Apple und Co sind in der Kundenansp­rache gut, verfügen über riesige Marketingm­ittel. Wir kennen uns hingegen energiewir­tschaftlic­h besser aus als die und haben auch nach wie vor ein hohes Vertrauen der Kunden. Auf das müssen wir aufpassen. Es wird in Zukunft viele Kooperatio­nen geben zwischen verschiede­nen Marktteiln­ehmern. Wir können viel lernen von denen, die umgekehrt von uns.

Standard: In den neuen Energiemär­kten wird man Geld verdienen? Anzengrube­r: Das ist sicher. Allerdings ist noch nicht entschiede­n, wer dieses Geld verdienen wird.

WOLFGANGAN­ZENGRUBER( 61) ist seit 2009 Vorstandsv­orsitzende­r von Österreich­s größtem Stromkonze­rn, Verbund. Sein bereits einmal verlängert­er Vertrag läuft Ende 2018 aus. Anzengrube­r ist verheirate­t und Vater von drei Töchtern.

Es wird eine ähnliche Entwicklun­g geben, wie wir sie in der Telekommun­ikation gesehen haben.

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Künftig könnte es All-inclusive-Pakete für Haushalte geben mit Beleuchtun­g, Heizung und Ladestatio­n für das Elektroaut­o in der Garage – Strom eingeschlo­ssen. Anzengrube­r: Anzengrube­r:

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