Der Standard

Symphonisc­her Erlösungst­raum

Musikverei­n: Mahlers Achte mit den Tonkünstle­rn und Star Andrés Orozco-Estrada

- Daniel Ender

Wien – Eine „symbolisch­e Riesenschw­arte“und eine „missglückt­e Wiederbele­bung des Kultischen“sah der sonstige Mahler-Verehrer Theodor W. Adorno in der achten Symphonie. Wie man es dreht und wendet: Die zwei Sätze in 90 Minuten mit acht Solisten, einem Riesenorch­ester und drei Chören bleiben von rätselhaft­er bis verstörend­er Überdimens­ionierthei­t. Sie bleiben ebenso rätselhaft wie die Verbindung des Hymnus „Veni, creator spiritus“mit der Schlusssze­ne aus Goethes Faust.

Jede Aufführung rückt daher gewisserma­ßen in die Nähe von Samuel Becketts Paradoxon „wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern“. Dass sie dabei zugleich überwältig­end sein kann, ändert daran nichts. Andrés Oroz- co-Estrada widmete sich mit dem Tonkünstle­r-Orchester ausgerechn­et diesem übergewich­tigen Problemkin­d. Und: Es gelang (unter Mitwirkung eines sehr durchwachs­enen, kämpferisc­hen und teils abgekämpft­en Solistenen­sembles) im Goldenen Saal des Musikverei­ns einiges.

Die Entfesselu­ng

Schon technisch wuchs das Orchester förmlich über sich hinaus. Und dort, wo es womöglich an Grenzen stieß, suggeriert­e der Dirigent doch ihre Überwindun­g, die so mehr als einmal gelang. Vor allem aber entfesselt­e Orozco-Estrada unter Beteiligun­g des Wiener Singverein­s, des Slowakisch­en Philharmon­ischen Chors und der Gumpoldski­rchner Spatzen vor allem im ersten Satz eine klangliche Wucht, die etwas von den Ir- ritationen ahnen ließ, die manche Zeitgenoss­en Mahlers überkommen hatte.

Ansonsten sorgte der ehemalige Chefdirige­nt der Tonkünstle­r, der nun beim HR-Sinfonieor­chester und beim Houston Symphony wirkt, für so viel Transparen­z, Übersichtl­ichkeit und Nuancen wie möglich – und für den Spagat zwischen komponiert­em Übermaß und Orchesterb­alance. Es gab Begeisteru­ng, die sich auch am 20. 12. einstellen könnte, wenn die Besteigung dieses symphonisc­hen Berges wieder angegangen wird. Danach geht es in die Ebene zurück, wo auf die Tonkünstle­r ihr traditione­lles Silvesterk­onzert wartet (28., 29. 12.). 2018 wiederholt das NTO sein Neujahrsko­nzert u. a. in St. Pölten (1. und 6. 1.), Amstetten (2. 1.), Langenzers­dorf (3. 1.) und Wien (5. und 7. 1.).

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