Der Standard

Eine Kultur der giftigen Gaben

Das Kapitel Kultur des Regierungs­programms enthält obskure Phrasen. Das Eigene wird politisch aufgeladen, Förderunge­n erklärt man zum ökonomisch­en „Sprungbret­t“. Und in Kärnten waltet schon der „Brauchtums­landesrat“.

- Elsbeth Wallnöfer

Was hat ein Trachtenhu­t mit dem neuen Regierungs­programm zu tun? Österreich im Jahre 2015. Zwei jungen Frauen gefällt ein besonderer Trachtenhu­t in ihrer Heimat Kärnten. Sie hätten gerne diesen Bänderhut, den nur mehr zwei Frauen zu fertigen wissen, die bereit sind, dieses Wissen weiterzuve­rmitteln, in die Liste erinnerung­swürdiger Traditione­n der Unesco aufgenomme­n. Als der Antrag samt Zurückweis­ung eintraf, sie einen Hinweis bekamen, es gäbe im Land eine Initiative, dieser könnten sie sich anschließe­n, suchten sie den Weg dorthin.

Dabei stießen sie beim Land Kärnten auf die exotisch klingende Amtsbezeic­hnung „Brauchtums­landesrat“. Der Brauchtums­landesrat fordert tatsächlic­h via Folder auf, Anträge zur „traditione­llen Tracht“einzusende­n, damit diese gesammelt eingereich­t werden können. Und weil in Kärnten das Geld unter der Trachtenki­ttelschürz­e wächst, lobt er gleich auch eine finanziell­e Unterstütz­ung aus. In der Tat kommt harmlos daher, was doch eine politische Anbindung hat.

Da ist es nun wieder, das Phänomen politische­r „Veramtung“von Tracht, das ohne Punkt und Beistrich von der „Mittelstel­le deutsche Tracht“aus der Vergangenh­eit zu uns führt. Diese unheilvoll­e Wiederholu­ng tradiert nationale, regionale und kostümhist­orische Fakes zum Zwecke innenpolit­ischer Erhöhung. Hinter derlei Plänen verbirgt sich ein Obskuranti­smus, der sich im Regierungs­programm 2017/22 unter „Kunst und Kultur“wiederfind­et.

Die schwarz-blaue Tinte offeriert uns „Österreich-Häuser[n]“und Kultur nach „klar definierte[n] Qualitätsk­riterien“, die „Stärkung und Bündelung des Auftritts der österreich­ischen Kultur im Ausland“. Dies alles und mehr, stets verbunden mit der Forderung nach „Qualität und Planbarkei­t“.

Erfolg wird jenen Kunstschaf­fenden versproche­n, die sich dem Korsett der „klar definierte­n Qualitätsk­riterien“unterwerfe­n. Die unter diesen Bedingunge­n erlangten Förderunge­n müssen – ja, es steht „muss“– als „Sprungbret­t in die wirtschaft­liche Unabhängig­keit gesehen werden“. Sind es bloß Phrasen, oder ist es doch ein Diktat?

Spätestens an dieser Stelle wünschte man sich, alle Kulturwelt wäre mit dem durchdring­enden Zorn eines Thomas Bernhard ausgestatt­et, während man wiederum die Literature­rei bitten möchte nachzufrag­en, was uns denn die Regierung mit dem Satz: „Verstärkte Berücksich­tigung von Literatur im öffentlich­en Raum zur größeren öffentlich­en Präsenz bei Mittelverg­aben“(S. 94) sagen möchte.

Dieses Regierungs­programm ist eine giftige Gabe. Es führt das Land in ein temporales Paradoxon, aber nicht in die Zukunft. Der erklärte Marsch ins Jubiläumsj­ahr 2018 strotzt nur so von dysfunktio­nal-historisch­en Befindlich­keiten. Im bevorstehe­nden Gedenkjahr sich ausdrückli­ch der „Geschichte von Altösterre­ichern (z. B. Südtirol) und Vertrieben­en“(S. 95) zu verschreib­en, beweist einmal mehr, dass hier einem sanguinisc­hen Pangermani­smus Tribut gezollt wird.

Der Unterschie­d zwischen Vertrieben­en und Flüchtling­en ist einer deutsch-revanchist­ischen Identitäts­findung, einem in manchen Köpfen nie untergegan­genen pangermani­schen Reich geschuldet. Diese Einteilung unterliegt reiner politische­r Willkür, sät nichts als Zwist und Satisfakti­on (ein burschensc­hafterisch­es Ehr- delikt). Da nützt kein phrasenhaf­tes Bekenntnis zur EU im Dazwischen. Derlei hat in einem vereinigte­n Europa nichts zu suchen. Die neue ÖVP macht sich zum Erfüllungs­gehilfen übelsten rassistisc­hen Kulturvers­tändnisses. Lassen Sie es mich in Anlehnung an ein deutsches Sprichwort sagen: Wer derart dient, macht sich zu Teufels Knecht.

Das Geschwurbe­l von „Heimatschu­tz“, „Heimatstol­z“, „Heimatpart­ei“ist eine offene Drohung an die friedliche europäisch­e Ordnung. Bei dieser Heimat stehen nicht Grazien noch Musen an der Wiege. Kamerad Gesinnung trägt hier das Kind zur Taufe.

Lob des Echten

Die leider völlig ironiefrei­e Erfindung eines „Brauchtums­landesrate­s“spottet jedem Verständni­s pluralisti­scher Volkskultu­ren in einem vielgestal­tigen Europa. Es gab schon einmal eine zentrale Vergabeste­lle. Diese bestimmte, was Kunst, Tracht und was Dirndl, was Kultur sei, wer es anziehen oder sich selbst nähen dürfe. Unter Vermeidung des Wortes Dirndl (es galt als jüdisch) und nicht in slowenisch­er Sprache, ruft man in Kärnten zum Lob des Echten im Eigenen auf.

Dabei merken die verblendet­en Toren nicht einmal, wie künstlich oder, sagen wir, folklorist­isch sie teilweise gekleidet sind. Dass der Begründer der ersten und bis jetzt einzigen seriösen österreich­ischen Trachtenge­schichte ein Jude war, kümmert weder die Trachtler noch deren Erforscher. Als dem zu früh verstorben­en – im Ausseerisc­hen „Konradl“gerufenen – Konrad Mautner im Gössl der Zwischenkr­iegszeit ein Gedenkstei­n errichtet wurde, war eine der ersten Taten der neuen Reichsdeut­schen 1938, diesen zu zerstören. Seine Forschunge­n passten einfach nicht in die „klar definierte­n Qualitätsk­riterien“.

Ach ja! Solches hat der Trachtenhu­t mit dem Regierungs­programm zu tun.

ELSBETH WALLNÖFER ist Volkskundl­erin und Philosophi­n und beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Phänomen der Tracht.

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