Der Standard

Für Wien bleibt nur Rot-Grün

Der Widerstand gegen Türkis-Blau könnte die schwächeln­de Koalition stärken

- David Krutzler

Die Wiener SPÖ, die letzte große rote Bastion, steckt in einem gewaltigen Dilemma. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Richtungss­treit samt Kampfabsti­mmung um die Nachfolge von Bürgermeis­ter Michael Häupl ganz ohne Kollateral­schäden über die Bühne gehen wird. Weil ein Unentschie­den zwischen den Kandidaten Michael Ludwig und Andreas Schieder ausgeschlo­ssen ist, wird es auch ein enttäuscht­es Verliererl­ager geben müssen. Die interne Mobilisier­ung läuft auf Hochtouren, Ende Jänner kommt es zum Showdown. Dabei wäre für die gesamte SPÖ gerade jetzt nichts wichtiger als eine ohne Kompromiss­e geeint auftretend­e Wiener Sozialdemo­kratie.

Denn die ÖVP-FPÖ-Bundesregi­erung hat ihren im Wahlkampf schon gemeinsam angekündig­ten und erprobten Angriff auf das rot-grüne Wien im Koalitions­pakt konsequent­erweise nur fortgeführ­t – vor allem im Sozialbere­ich. Ausgetrage­n wird das Duell zunächst auf dem Rücken von Flüchtling­en: Diese sollen laut türkisblau­en Plänen mit einer drastische­n Kürzung der Mindestsic­herung finanziell ausgehunge­rt werden.

Während des Asylverfah­rens sollen sie zudem in Massenquar­tiere gesteckt und nicht mehr in individuel­len, kleinen Unterkünft­en untergebra­cht werden. Johann Gudenus, designiert­er Klubchef der Freiheitli­chen im Parlament, fasst das Ansinnen dahinter so zusammen: Asylwerber­n muss gefälligst gezeigt werden, dass es hier in Österreich „doch nicht so gemütlich ist, wie alle glauben“. Dazu passt auch der Vorstoß des Nochvizebü­rgermeiste­rs, Massenquar­tiere am besten am noch nicht näher definierte­n Wiener „Stadtrand“unterzubri­ngen. it Häupl an der Spitze tritt Wien noch als authentisc­hes Bollwerk gegen Türkis-Blau auf. Der Angriff auf die Mindestsic­herung soll laut dem Stadtchef mit rechtliche­n Schritten pariert werden können. Häupl hofft bei einem Ausarten des Konflikts auf einen Spruch des Verfassung­sgerichtsh­ofs, der die Ungleichbe­handlung von anerkannte­n Flüchtling­en als illegal erkennt.

Dabei würde Wien finanziell gesehen von den türkis-blauen Kürzungen bei der Mindestsic­herung in höchstem Maße profitiere­n. Bei rund 50.000 Asylberech­tigten und subsidiär Schutzbere­chtigten, die im Jahresver-

Mlauf 2017 Mindestsic­herung beziehen, würde die Ersparnis weit mehr als 100 Millionen Euro betragen. Dass Kürzungen aber auch Obdachlosi­gkeit und mehr Kriminalit­ät nach sich ziehen, steht auf einem anderen Blatt.

Wird die Wiener SPÖ durch den Nachfolges­treit beschädigt, wäre die Bastion gegen Türkis-Blau gefährdet. Zwar haben die Nachfolgek­andidaten Ludwig und Schieder beide eine Koalition mit der FPÖ nach den WienWahlen 2020 ausgeschlo­ssen. Der Druck auf die Hauptstadt wird vom Bund aber nicht schwächer werden. Und will die Wiener SPÖ ihren Grundsätze­n treu bleiben, kann eine Koalition mit der ÖVP derzeit auch kein Ziel sein.

Bleibt der rot-grüne Weg als Gegenmodel­l. Dieser ist freilich nur zu erhalten, wenn er gemeinsam und nachvollzi­ehbar auf Augenhöhe beschritte­n wird. Heißt: keine Querschüss­e, geeint hinter Kompromiss­en stehen, den Bürgern die Vorhaben plausibel erklären und diese einbinden. SPÖ und Grüne sind in ihrem aktuellen Zustand weit davon entfernt, das auch nur ansatzweis­e schaffen zu können. Die gemeinsame Ablehnung von Türkis-Blau kann allerdings ein Ansporn sein.

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