Der Standard

Eine Frage des Feingefühl­s

- Anna Giulia Fink

Zweimal fiel der Vizekanzle­r im ORF-Interview Montagaben­d dem Kanzler und den Journalist­en mit dem Südtirol-Thema ins Wort. Dabei stand dieses noch nicht einmal zur Debatte. Heinz-Christian Strache sah keinen Grund zur Zurückhalt­ung, er platzte nahezu vor Freude: Die seit jeher als blaue Herzensang­elegenheit definierte Forderung der Möglichkei­t einer Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Südtiroler mit deutscher und ladinische­r Mutterspra­che ist jetzt im Regierungs­programm verankert.

Das Vorhaben zieht einen Rattenschw­anz an Problemen mit sich – rechtlich und historisch heikle Fragen, die das Unterfange­n erschweren, aber nicht prinzipiel­l verunmögli­chen. Doppelstaa­tsbürgersc­haften sind auch in der EU Realität. Es ist die Frage der Umsetzung, die enorme Sprengkraf­t birgt. Wer hier kein Feingefühl an den Tag legt, droht das friedliche Zusammenle­ben in Südtirol, dem ein langer, schmerzvol­ler Prozess vorausging, zu beschädige­n.

Der sezessioni­stische Traum ist in vielen Teilen Europas nicht erloschen. Wie schnell er auch entgegen jeder Logik disruptive Kräfte entfesseln kann, macht die Katalonien­Krise deutlich. Deshalb geht die regierende Südtiroler Volksparte­i, die das Anliegen ebenfalls verfolgt, behutsam vor. Sie spricht von „Doppelstaa­tsbürgersc­haft im europäisch­en Geist“, distanzier­t sich von „nationalis­tischen, revisionis­tischen und sezessioni­stischen Ansätzen“. Die FPÖ hingegen täuscht hier Sensibilit­ät nicht einmal vor.

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