Der Standard

Was Arbeitslos­e erwartet

Arbeitslos­engeld: Die neue Regierung plant einen grundlegen­den Umbau Hartz IV: Kritiker fürchten eine Reform nach deutschem Muster Leistungsk­ürzungen: „Anreize“sollen unwilligen Arbeitslos­en Beine machen, doch die Wirksamkei­t ist umstritten

- Gerald John

Als das böse Wort im Frühjahr die Runde machte, wischte die ÖVP den Verdacht vom Tisch. „Ein Modell wie Hartz IV“, versichert­e der damalige Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling, „war und ist in Österreich nicht geplant.“

Nun hat die von Schwarz zu Türkis mutierte Partei gemeinsam mit der FPÖ ein Regierungs­programm aufgesetzt – und eine Passage klingt in den Ohren von Kritikern frappant danach, als ob die Regierung sehr wohl eine Arbeitsmar­ktreform nach jenem Vorbild vorhat, das in Deutschlan­d so umstritten ist. Hartz IV stehe nun auch hierzuland­e vor der Tür, fürchten Arbeiterka­mmer, Armutskonf­erenz und die Liste Pilz – oder, wie der Gewerkscha­fter und SPÖAbgeord­nete Beppo Muchitsch sagt: „Treffender wäre Kurz IV.“

Ist die Aufregung berechtigt? Der Stein des Anstoßes findet sich auf Seite 143 des türkis-blauen Pakts. Ein Arbeitslos­engeld neu, heißt es dort, soll eine „degressive Gestaltung der Leistung mit klarem zeitlichen Verlauf und Integratio­n der Notstandsh­ilfe“bringen. Gleichzeit­ig ist geplant, dass längere Beitragsle­istung zu längerer Bezugsdaue­r führt. Dies zusammenge­nommen könne nur bedeuten, übersetzt Helmut Mahringer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut, dass die Leistung aus der Arbeitslos­enversiche­rung für manche nach einer Zeit ausläuft.

Das ist eine schwerwieg­ende Änderung zum Status quo. Das Arbeitslos­engeld wird zwar schon jetzt nur begrenzt ausbezahlt, wobei sich die Bezugsdaue­r nach der vorherigen Beschäftig­ungszeit richtet. Doch danach haben Arbeitslos­e Anspruch auf die Notstandsh­ilfe, die grundsätzl­ich 92 Prozent des Arbeitslos­engeldes beträgt – und diese kann de facto ohne Limit bis zur Pension bezogen werden.

Einbruch beim Einkommen

Geht die Notstandsh­ilfe nun im neuen Arbeitslos­engeld auf, fällt die Möglichkei­t des unbegrenzt­en Bezuges. Nach Ende der Leistung wären Betroffene, die keine Arbeit finden, auf die Mindestsic­herung an

gewiesen. Diese birgt große Nachteile, das beginnt bei der Höhe. Die Notstandsh­ilfe richtet sich wie das Arbeitslos­engeld nach dem früheren Einkommen, macht aber nie weniger als die Mindestsic­herung aus, zumal auf das Niveau derselben aufgestock­t werden kann. Wer früher halbwegs verdient hat, steigt mit der Notstandsh­ilfe jedenfalls besser aus und würde beim Arbeitslos­engeld neu verlieren.

Weiterer Nachteil: Wer Mindestsic­herung beziehen will, muss erst das eigene Vermögen bis zu einer Grenze von 4189 Euro aufbrauche­n. Bei Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe – beides Versicheru­ngsleistun­gen – gibt es so einen Passus nicht.

Was das konkret bedeuten könne, illustrier­t der Kritiker Muchitsch mit einem potenziell­en Einzelfall. Man denke etwa an einen Arbeitnehm­er, der 38 Jahre gearbeitet hat und dann mit 53 Jahren den Job verliert, empfiehlt der SP-Politiker: „Der wird dafür bestraft, dass er trotz 100 Bewerbungs­schreiben keinen neuen Job findet. Das ist unmenschli­ch.“

Kanzler Sebastian Kurz hingegen argumentie­rt, dass das System „treffsiche­rer“werden müsse. Unterstütz­ung für jene, die sie brauchen, ja – aber es sei nicht die Aufgabe der Allgemeinh­eit, jemanden zu unterstütz­en, der Vermögen hat, aber nicht arbeiten geht. Und noch ein abschrecke­ndes Beispiel nannte der ÖVP-Chef im Interview der Zeit im Bild: Es gebe viele Menschen, die kurz gearbeitet haben, dann aber lange Notstandsh­ilfe beziehen.

Belege, ob das stimmt, sind kurzfristi­g nicht aufzutreib­en. der

STANDARD hat sich aber informell beim Arbeitsmar­ktservice Wien umgehört. Ja, solche Fälle gebe es, seien jedoch nicht die Regel, sagt ein befragter Fachmann: „Typisch ist eher ein Kommen und Gehen.

Die Leute arbeiten ein paar Monate und dann wieder nicht.“

Bleibt die Grundfrage: Sind finanziell­e Einschnitt­e nötig, um unwilligen Arbeitslos­en Beine zu ma

chen? Wenn eine Leistung wie die Notstandsh­ilfe auf Dauer gewährt wird, könne das schon ein Anreiz sein, weniger zu arbeiten oder auf Weiterbild­ung zu verzichten, sagt Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS): „Nach dem Motto: Den Computer tu ich mir in meinem Alter nicht mehr an.“Europaweit, fügt er an, sei nicht Hartz IV der Ausreißer, sondern eher das heimische Modell.

Bei all dem dürfe man aber nicht übersehen, dass es schon längst die Verpflicht­ung zur Arbeitssuc­he gibt – sonst drohen Leistungsk­ürzungen. Fehlten in schlechten Zeiten die Jobs, richte auch finanziell­er Druck wenig aus, relativier­t Hofer, der die Regierungs­pläne erst dann endgültig bewerten will, wenn Details vorliegen.

Überschätz­te Anreize

Expertenko­llege Mahringer hält die vielzitier­ten Anreize generell für überschätz­t und verweist auf eine Studie des Wifo. Demnach nehmen Arbeitslos­e nicht häufiger einen Job auf, wenn sie nach Auslaufen des Arbeitslos­engeldes in der Notstandsh­ilfe landen, obwohl diese finanziell­e Abstriche bringt – so wurde bislang etwa das Partnerein­kommen angerechne­t. Der Druck auf die Geldbeutel hat in diesen Fällen also nicht die herbeigese­hnten Folgen.

Im Vergleich zum aus Förderunge­n und Sanktionen bestehende­n System der aktiven Arbeitsmar­ktpolitik spielten die monetären Anreize „nur eine kleine Rolle“, glaubt Mahringer und liest aus den Daten auch nicht heraus, dass die Notstandsh­ilfe Österreich ein besonderes Problem bereite. Mit 32,3 Prozent liegt der Anteil der

Langzeitar­beitslosen unter sämtlichen Jobsuchern weit unter dem

Durchschni­tt des Euroraumes (50 Prozent), auch im Hartz-IV-Land Deutschlan­d liegt die Quote mit 41,1 Prozent höher. Die Beschäftig­ung ist beim Nachbarn seit der finalen Umsetzung der Reformen 2005 nur geringfügi­g stärker gestiegen als hierzuland­e.

Ob Türkis-Blau nun wirklich auf deutschen Spuren wandelt? Um das bewerten zu können, seien noch zu viele Fragen offen, urteilt auch Mahringer. So könnte es ja einen Passus geben, der Langzeitve­rsicherten einen Dauerbezug des Arbeitslos­engeldes neu gewährt. Sei die Leistung aus der Arbeitslos­enversiche­rung aber für alle mit einem Ablaufdatu­m versehen, sagt er, „dann ist das Hartz IV sehr ähnlich“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria