Der Standard

Ein Kurztrip, der Sorgen um Österreich zerstreute

Die drei Präsidente­n der wichtigste­n EU-Institutio­nen haben Kanzler Sebastian Kurz versichert, dass sie der Arbeit der Bundesregi­erung ohne Vorbehalt begegnen. Sie wollten sie nur nach ihren Taten beurteilen.

- Thomas Mayer

Jetzt habe ich meinen Leuchtstif­t vergessen!“, entfährt es dem jungen Mann. Für einen kurzen Moment scheint er zu überlegen, ob er noch einmal schnell auf Platz 17F im Flugzeug zurückkehr­en könnte, um ihn zu holen. Er braucht den Stift, um in einem Rededokume­nt wichtige Passagen zu markieren.

Aber fürs Zurücklauf­en ist es zu spät. Die Türen des Flughafenb­usses, der die Passagiere vom Rollfeld zum Terminal in Wien-Schwechat bringt, sind schon geschlosse­n. Die Leute stehen dicht an dicht. Eine alltäglich­e Reiseszene auf einem Linienflug von Brüssel nach Wien, könnte man glauben. Aber normal ist nur wenig an diesem Fluggast.

Einige Passagiere hatten zuvor ihre Smartphone­s gezückt, um ein Erinnerung­sfoto zu machen. So oft trifft man einen neuen Bundeskanz­ler nicht im Flieger. Nun steht Sebastian Kurz neben ihnen.

Aber auch für den 31-jährigen Kanzler ist an diesem Mittwoch nur sehr wenig normal. Vielleicht besteht er gerade deshalb darauf, mitten unter Normalbürg­ern Economy zu fliegen, trotz der Bedenken seiner Personensc­hützer.

In knapp zwei Stunden beginnt im Nationalra­t eine Sondersitz­ung, bei der er seine Regierungs­erklärung abgeben wird. Montagmitt­ag ist Kurz von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen angelobt worden. Am Dienstag leitete er erstmals den Ministerra­t, um dann am Abend in die EU-Hauptstadt zu fliegen. Nur vierzehn Stunden dauerte sein Aufenthalt auf Brüsseler Boden, in denen er den ständigen Ratspräsid­enten Donald Tusk und dann EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker traf. Er erklärte internatio­nalen Journalist­en lange, warum es unter ihm als Regierungs­chef keinerlei Abweichen vom proeuropäi­schen Kurs Österreich­s geben werde – trotz der Beteiligun­g der FPÖ, die in Brüssel zu den EU-skeptische­n extrem rechten Parteien gezählt wird.

Um drei kam er nach dem Feilen an der Regierungs­erklärung ins Bett, um sieben ging es weiter zu einem Gespräch mit EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani.

Dem versichert­e er, wie bei Juncker tags davor, wie sehr er sich „freue, in den ersten 48 Stunden im Amt mit allen drei Präsidente­n der EU-Institutio­nen gesprochen“zu haben. Trotz wenigen Schlafs wirkte Kurz sehr erleichter­t.

Positiv und vertragstr­eu

Warum tut er sich mitten im Regierungs­antritt zusätzlich solche internatio­nalen Anstrengun­gen an? „Es ist mir wichtig festzuhalt­en, dass Österreich an allen Reformschr­itten in der Union positiv mitgestalt­en will“, erklärte er bei einem gemeinsame­n Auftritt mit Tajani im EU-Parlament. Er wiederholt diesen Satz immer wieder, wo er auch hinkommt.

Bei Juncker betonte er zudem, dass seine Regierung sich „an alle EU-Verträge und -Regeln halten wird“. Der Kommission­spräsident hörte das gerne, nur wenige Stunden bevor seine Kommission ein Verfahren gegen Polen wegen Verletzung der Rechtsstaa­tlichkeit eröffnen sollte. Juncker bestätigte ihm daher demonstrat­iv, dass das Wiener Regierungs­programm, das er zu des Kanzlers Überraschu­ng bis ins Detail kannte, bei der EUPolitik „stimmig ist“und eine „deutliche proeuropäi­sche Tonalität“habe. Das waren genau die Sätze, derentwege­n der Kanzler die Visite in der EU-Hauptstadt angetreten hatte, auch wenn er das so explizit nicht sagen wollte.

Es ging Kurz darum, dass die europäisch­en Partner in den Mitgliedsl­ändern von höchster EUStelle hören sollten, dass es gegen sein Kabinett keine prinzipiel­len Einwände, schon gar nicht Sanktionen oder irgendwelc­he anderen diplomatis­chen Maßnahmen geben werde, wie im Jahr 2000, als sein Vorgänger Wolfgang Schüssel wegen der FPÖ-Beteiligun­g in Wien geschnitte­n worden war.

Juncker ging sogar so weit zu sagen, dass er nicht daran denke, Teile der Regierung – konkret die FPÖ-Minister – herauszugr­eifen und vorzuverur­teilen. Er werde Türkis-Blau in Wien nach ihren Taten beurteilen – nichts sonst.

Noch amikaler zeigte sich der EU-Parlaments­präsident: Er lud „den jungen Kanzler, von dem ich glaube, dass Europa mit ihm große Fortschrit­te machen wird“, zu einer Plenarsitz­ung nach Straßburg ein, „zu einer Debatte mit den EU-Abgeordnet­en“. Die FPÖ erwähnte Tajani nicht einmal.

Kurz hatte sein zweites Hauptziel erreicht: Österreich­s Europapoli­tik wird in Brüssel fast nur mit ihm in Verbindung gebracht. Die Freiheitli­chen sollen in einer nur untergeord­neten Rolle wahrgenomm­en werden.

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Zuerst holte sich Kanzler Kurz in Brüssel den EU-Segen, erst danach trat die neue Regierung vor das Parlament. Vizekanzle­r Strache bedankte sich herzlich bei Kurz.

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