Der Standard

Brexit: Oldtimer des einen ist Schrottkis­te des anderen

Brüssel und London stecken ihre Positionen für die nächste Phase der Verhandlun­gen ab

- Sebastian Borger aus London

Mit gänzlich unvereinba­ren Positionen starten die britische Regierung und die EU-Kommission in die nächste Phase der BrexitVerh­andlungen. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier unterstric­h am Mittwoch die harte Brüsseler Linie, indem er das Ende der von London gewünschte­n Übergangsp­hase einseitig auf das Jahresende 2020 festlegte. Für die Zeit danach könne Großbritan­nien angesichts der eigenen Vorgaben nicht mit dem gewünschte­n engen Wirtschaft­sverhältni­s zum Kontinent rechnen.

Barnier und sein Team haben zuletzt immer wieder darauf hingewiese­n, dass Premiermin­isterin Theresa May einen harten Brexit verfolgt. Dazu gehört der Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion sowie das Ende der Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs. Außerdem will die Insel keine „substanzie­llen Zahlungen“leisten. Damit seien Lösungen, wie sie beispielsw­eise für Norwegen oder die Schweiz gelten, nicht möglich, heißt es in Brüssel. Es könne lediglich um ein Freihandel­sabkommen gehen, wie die EU es kürzlich mit Kanada oder Japan abgeschlos­sen hat.

„Kanada plus plus plus“

May hatte zu Wochenbegi­nn den zuständige­n Brexit-Regierungs­ausschuss und ihr Kabinett um sich geschart, um das weitere Vorgehen im Trennungsp­rozess zu besprechen. EU-Feinde wie Außenminis­ter Boris Johnson waren sich mit Befürworte­rn einer möglichst engen Anbindung an den Kontinent, angeführt von Finanzmini­ster Philip Hammond, einig: Großbritan­nien möchte ein Abkommen „Kanada plus plus plus“– so hat es Brexit-Minister David Davis ausgedrück­t. Gemeint damit sind vor allem Regelungen, die den reibungslo­sen Export von Dienstleis­tungen, nicht zuletzt im Finanzsekt­or, ermögliche­n. Am Mittwoch unterstric­h die Londoner Zentralban­k, wie wichtig den Briten dieser Aspekt der zukünftige­n Zusammenar­beit ist: EU-Finanzunte­rnehmen wie die Deutsche Bank brauchen ihre am Finanzplat­z London tätigen Abteilunge­n auch in Zukunft nicht in eigene rechtliche Einheiten zu überführen. Dies hätte den Firmen erhebliche Kosten verursacht und womöglich Abwanderun­gsgedanken verstärkt. Dies will die Londoner Regierung unbedingt vermeiden, zumal die Finanzindu­strie für zuletzt 11,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s verantwort­lich war.

Eine Art von sektoralem Verbleib im Binnenmark­t für wichtige britische Branchen – neben Finanzen ist auch von Pharma- und Autoindust­rie die Rede – wird in Brüssel und anderen europäisch­en Hauptstädt­en hingegen strikt abgelehnt. Eine britische Rosinenpic­kerei werde es nicht geben. Mit Genugtuung wurde zur Kenntnis genommen, dass britische Versuche, die Einheitsfr­ont der 27 verbleiben­den EU-Mitglieder aufzubrech­en, erfolglos geblieben sind. Londons Emissäre seien unter anderem in Dänemark und den Niederland­en, aber auch bei wichtigen Regionen wie Bayern und Flandern abgeblitzt.

Niederlage vermeiden

Natürlich befinde man sich am Anfang eines Verhandlun­gsprozesse­s, heißt es unter EU-Diplomaten in London begütigend. Die Gesprächsp­artner werden mit Gebrauchtw­agenhändle­rn verglichen: „Der eine preist sein altes Auto als Oldtimer an, der mindestens 100.000 Euro wert ist. Der andere sagt: Für deine Schrottkis­te zahle ich höchstens 1000.“

Im Unterhaus nahm die konservati­ve Minderheit­sregierung eine Frontbegra­digung vor, um eine neuerliche Abstimmung­sniederlag­e zu vermeiden. Das EU-Austrittsd­atum 29. März 2019 wird nun doch nicht, wie von May geplant, als Fixgröße ins entspreche­nde Gesetz geschriebe­n.

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