Der Standard

Finale Direktscha­ltung ins Dorf des „Presidente“

Über eine Videokonfe­renz aus Brüssel ruft Carles Puigdemont, der abgesetzte Regionalpr­äsident Katalonien­s, zur Wahl auf. Sein Bündnis hat in Umfragen zwar verloren, die separatist­ischen Parteien liegen aber knapp vorn.

- Reiner Wandler aus Amer

Der Gemeindesa­al in Amer ist voll besetzt. Es ist der letzte Tag der Kampagne für die auf heute, Donnerstag, von Madrid vorgezogen­en Neuwahlen zum katalanisc­hen Autonomiep­arlament. Das 2000Seelen­dorf am Rande der Pyrenäen ist der Heimatort des abgesetzte­n und nach Belgien geflohenen katalanisc­hen Ministerpr­äsidenten Carles Puigdemont, der erneut für das Amt kandidiert. Ihm droht Haft, sollte er spanischen Boden betreten. Deshalb findet das Ende des Wahlkampfs virtuell statt. Puigdemont redet per Streaming zu den Seinen in Katalonien.

„Presidente, Presidente …“, rufen sie, als ihr „Carles“endlich auf der Leinwand erscheint. In Amer kennt jeder Puigdemont, der durch das verbotene Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober und durch die Ausrufung der „katalanisc­hen Republik“am 27. Oktober weit über Spanien hinaus von sich reden machte.

Konditoren­sohn

Die Älteren haben den 54-jährigen Sohn der örtlichen Konditorei­familie aufwachsen sehen. Die Jüngeren kennen ihn aus seinen Ferienaufe­nthalten im Heimatort. Alle wissen um den Werdegang des Journalist­en zum Bürgermeis­ter in der Provinzhau­ptstadt Girona, zum Abgeordnet­en im Autonomiep­arlament und schließlic­h 2015 zum Chef der Autonomier­egierung. Unter den rund 70 Anwesenden im Saal befinden sich die Eltern, ein Teil seiner sieben Geschwiste­r und Jugendfreu­nde wie Salvador Carlà, der auf Puigdemont­s Bündnis Gemeinsam für Ka- talonien (JxCAT) kandidiert. Von Brüssel aus hat der ehemalige Regierungs­chef die 135 Kandidaten gegen den Widerstand in seiner Demokratis­ch Europäisch­en Partei Katalonien­s (PDeCAT) persönlich zusammenge­stellt. Ihn zu wählen sei der einzige Weg, um den Parteien, die der Zwangsverw­altung Katalonien­s mithilfe des Verfassung­sartikels 155 zugestimmt haben, zu zeigen, dass Katalonien entschloss­en sei. Die „Parteien des 155.“– wie Puigdemont sie nennt – sind die in Madrid regierende­n Partido Popular (PP), die Sozia0list­en und die rechtslibe­ralen Ciudadanos (Cs), die darauf hoffen, stärkste Partei zu werden.

Ausgerufen wurde der Urnengang vom spanischen Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy, nachdem er die Autonomier­egierung des Amtes enthoben und die Verwaltung der nordostspa­nischen Region seinen Madrider Ministerie­n unterstell­t hatte. Die katalanisc­he Regierung und das Präsidium des Autonomiep­arlaments wurden von der spanischen Justiz wegen „Rebellion“, „Aufstand“und der „Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder“angezeigt. Darauf stehen bis zu 55 Jahre Haft.

Puigdemont setzte sich im Oktober mit vier Ministern nach Brüssel ab. Ex-Innenminis­ter Joaquim Forn und Puigdemont­s Vize und Spitzenkan­didat der Republikan­ischen Linken Katalonien­s (ERC), Oriol Junqueras, sitzen in Untersuchu­ngshaft in Spanien. Junqueras liefert sich mit Puigdemont einen Wahlkampf um den Sieg im Unabhängig­keitslager.

Der Weihnachts­baum auf dem Platz in Amer ist mit gelben Schleifen dekoriert, die Straßenlat­ernen ebenso. Im Gemeindesa­al nimmt die Bürgermeis­terin Maria Rosa Vila neben den Eltern Puigdemont­s, einem Onkel und Carlà in der ersten Reihe Platz.

„Dann kommt er zurück“

Während Puigdemont­s Anhänger in Amer nach seiner Rede die katalanisc­he Hymne anstimmen, verspricht die Cs-Kandidatin Inés Arrimadas vor Anhängern in Barcelona, „mit dem Nationalis­mus Schluss zu machen“. Viele in Katalonien wünschen sich genau das, aber das sind auch Sätze, die manchen Angst machen. Sie fürchten um das katalanisc­hsprachige Bildungssy­stem, das öffentlich­e Fernsehen und um die Autonomier­echte der Region.

„Wenn das Volk Puigdemont nicht den ersten Platz verschafft, ist das ein Sieg für Rajoy“, sagt Jugendfreu­nd Carlà in Amer. Er hofft, dass JxCAT die Aufholjagd gelingt und die Liste – entgegen den Umfragen – doch noch stärkste Partei wird. Puigdemont­s Vater hat seinen Sohn in Brüssel nicht besucht. Er deutet auf seinen Stock. 88 Jahre und die harte Arbeit in der Backstube haben ihre Spuren hinterlass­en. Wie alle hier glaubt er an einen erneuten Einzug Puigdemont­s in die Generalita­t. pAnalysen und Liveberich­t aus Bar

celona auf derStandar­d.at/Spanien

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Carles Puigdemont sitzt in Brüssel fest, weil ihm Haft droht, sollte er spanischen Boden betreten. Trotzdem tritt er bei den Wahlen an.

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