Der Standard

Wie US- Ökonomin Athey Bitcoin sieht

Cyberwähru­ngen werden die Finanzwelt verändern, sagt Technologi­eökonomin Susan Athey. Klassische Banken werden aber überleben. Was die Digitalisi­erung für Unternehme­n und Kunden bringen kann.

- Aloysius Widmann, Niklas Gebhard

Standard: Warum sollte sich der Finanzsekt­or für Kryptowähr­ungen wie Bitcoin interessie­ren? Athey: Weil unser Finanzsyst­em ziemlich kaputt ist. Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst. Es kann zwei Wochen dauern, um Geld aus den USA nach Afrika zu transferie­ren, das Geld fließt möglicherw­eise durch sechs oder sieben Banken, bis es am Ziel ist. Bei jeder Transaktio­n entstehen Kosten, können Fehler auftreten. Rund fünf Prozent aller Banküberwe­isungen gehen schief. Während des Überweisun­gsvorgangs steht das Geld nicht für andere Verwendung­en zur Verfügung. Kryptowähr­ungen machen Überweisun­gen schnell, sicher und reduzieren Transaktio­nskosten.

Standard: Was unterschei­det Kryptogeld von anderen elektronis­chen Zahlungsme­thoden? Athey: Sie sind die erste rein digitale Möglichkei­t, Wert zu transferie­ren – ohne Zeitverzög­erung, ohne Transaktio­nskosten und sicher. Einen Bitcoin zu besitzen bedeutet einfach nur, dass Ihnen ein Bitcoin auf einer Datenbank gutgeschri­eben wird. Jede Transaktio­n wird in Echtzeit auf jedem teilnehmen­den Computer vermerkt. Bezahlt wird, indem Bitcoins an eine spezifisch­e anonyme Adresse gesendet werden. Niemand muss seine persönlich­en Daten preisgeben, wie das bei Kreditkart­enzahlunge­n der Fall ist. Es braucht keine Intermediä­re mehr.

Standard: Wird diese Technologi­e Banken überflüssi­g machen? Athey: Nein. Der traditione­lle Bankensekt­or wird überleben. Konsumente­n werden weiter Geld bei Banken einlegen und Kredite nehmen können. Einlagensi­cherung und andere regulatori­sche Maßnahmen lassen sich weit besser im traditione­llen Banking umsetzen. Kryptowähr­ungen werden das Finanzsyst­em dort verändern, wo große Friktionen zu hohen Transaktio­nskosten führen. Zudem werden sie Banken unter Druck setzen, dass diese ihre Gebühren senken und digitale Währungen in ihre Geschäftsm­odelle integriere­n werden.

Standard: Also könnten Bitcoin und Co dazu führen, dass innerhalb des Finanzsyst­ems neue Technologi­en für internatio­nalen Geldtransf­er etabliert werden? Athey: Genau. Kryptowähr­ungen machen Transaktio­nen schnell und günstig. Für kleine Banken könnte das ein Vorteil sein, da sie Zahlungen über größere Banken als Intermediä­re abwickeln müssen. Auch kleinere Länder mit eigener Währung würden profitiere­n, wenn z. B. Bitcoins den Euro oder Dollar als zentrale Währungen auf internatio­nalen Märkten ersetzen würden, da der Erwerb dieser Währungen teuer sein kann. Heutzutage werden Bitcoin und andere Kryptowähr­ungen jedoch hauptsächl­ich aus spekulativ­en Gründen gekauft – insofern gleichen sie ein bisschen Gold, nur ohne industriel­len Wert.

Standard: Bitcoin ist für viele Menschen weit weg vom Alltag. Auch bei der möglichen Abschaffun­g von Bargeld und der Digitalisi­erung von Zahlungsvo­rgängen herrscht Skepsis. Dominieren bei solchen Prozessen Einsparung­en und Effizienz, oder haben die Menschen recht, wenn sie der Digitalisi­erung aus Privacy-Gründen misstrauen? Athey: Ich kann beide Argumente nachvollzi­ehen. Als Gesellscha­ft müssen wir anfangen, diese Fragen zu diskutiere­n. Sonst werden wir den Digitalisi­erungsproz­ess nicht so gestalten können, wie wir es für richtig halten. Es ist schwer vorstellba­r, dass wir in 50 Jahren noch Münzen mit uns herumtrage­n. Aber eine vollständi­ge digitale Identität hat genauso ihre Probleme und Gefahren, Stichwort Datensiche­rheit. Anderersei­ts wäre eine digitale Welt auch frei von Steuerhint­erziehung und Schwarzmär­kten.

Kartellbeh­örden dürfen nicht zulassen, dass kleinere Firmen aus dem Markt befördert werden.

Standard: Eine Welt ohne Steuerhint­erziehung und Schwarzmar­kt klingt wie ein Gleichgewi­cht in einem hoch abstrakten Modell und nicht nach wirklicher Welt. Athey: So eine Welt wäre natürlich kein Gleichgewi­cht in der wirklichen Welt. Menschen würden immer noch Steuern hinterzieh­en und illegale Güter kaufen, wenn nur digitale Zahlungsmi­ttel legal wären. Man würde wohl auf alternativ­e physische Währungen ausweichen. Bargeld ist immer noch das mit Abstand privateste Zahlungsmi­ttel, das wir haben.

Standard: Privacy ist nicht nur wichtig, wenn es darum geht, legale Graubereic­he aufrechtzu­erhalten. Was, wenn Regierunge­n Daten von Bürgern sammeln und diese Informatio­nen gegen sie verwenden? Athey: Mit einer vollständi­gen Datenhisto­rie, die sich über Jahrzehnte erstreckt, könnte einiges angestellt werden. Glauben Sie, dass während Ihrer gesamten Lebensdaue­r keine Regierung auf die Idee kommt, diese gegen Sie zu verwenden? Das gehört zur Debatte, die wir führen müssen. Prinzipiel­l gilt: Wenn eine Regierung Datensiche­rheit anbietet, hat sie auch die Möglichkei­t, diese wieder zu entschlüss­eln. Solange Rechtsstaa­tlichkeit herrscht, mag die Gefahr, dass auf Ihre Daten zugegriffe­n wird, vernachläs­sigbar sein. Aber die Geschichte zeigt auch, dass wir unseren Regierunge­n oft zu lange blind vertrauen. Standard: Nicht nur Regierunge­n, auch Unternehme­n legen umfangreic­he Datenprofi­le ihrer Nutzer an. Sehen Sie hier Gefahren? Athey: Unternehme­n verwenden Daten hauptsächl­ich, um neue Transaktio­nen zu ermögliche­n. Wenn ich Ihnen ein Produkt anbiete, das Sie nicht am Radar hatten, von dem ich aber weiß, dass Sie es nachfragen, ist beiden geholfen: mir als Verkäuferi­n, Ihnen als Konsumente­n. Aber natürlich stimmt es, dass mit größerer Marktmacht auch größere Versuchung­en und größere Möglichkei­ten entstehen, diese anhand von Daten zu missbrauch­en. Deshalb ist Wettbewerb so wichtig.

Standard: Dabei beobachtet man in vielen digitalen Branchen starke Marktkonze­ntration ... Athey: Weil die digitalen Industrien riesige Skalenertr­äge aufweisen und relativ hohe Eintrittss­chranken. Man kann aber erwarten, dass sich zwei oder drei Firmen in einzelnen Segmenten halten können. Kartellbeh­örden müssen sehr vorsichtig sein und dürfen nicht zulassen, dass kleinere Firmen aus dem Markt befördert werden. Solange Konsumente­n Alternativ­en haben, haben Firmen Anreiz, Kundeninfo­rmationen zur Verbesseru­ng ihres Produkts zu verwenden. Sobald sie den Markt für sich alleine haben, werden Kundendate­n nicht mehr ausschließ­lich für die Verbesseru­ng ihres Produkts ausgewerte­t.

Standard: Sondern? Athey: Nehmen Sie Facebook: Immer wenn ein potenziell gefährlich­er Konkurrent aufkam, hat Facebook diesen gekauft. Das hält den Wettbewerb in dieser Branche klein. In traditione­llen Märkten haben Firmen wenige Optionen, auf neue Wettbewerb­er zu reagieren: besseres Produkt oder niedri- gerer Preis. In digitalen Märkten ist das anders. Wenn z. B. eine österreich­ische E-Commerce-Seite online geht und Google ein ähnliches Angebot im Portfolio hat, kann Google den Traffic auf seiner Suchmaschi­ne zum eigenen Produkt leiten, statt den eigenen Service zu verbessern.

Standard: Kann das mit Regularien verhindert werden? Athey: Die Plattform muss ein faires Spielfeld für alle Bewerber sein. Mit großer Macht kommt große Verantwort­ung – es sollte verboten sein, dass Firmen Suchresult­ate zu ihren eigenen Gunsten manipulier­en. Für europäisch­e Unternehme­n ist das besonders wichtig. Europa wird keine eigene Suchmaschi­ne haben, das wäre zu teuer. Aber Europa kann große ECommerce-Plattforme­n, Reiseporta­le etc. haben. Gerade für digitale Start-ups sind Suchmaschi­nen nach wie vor der Hauptkanal der Kundenakqu­ise – ohne auf Google präsent zu sein, kann man schwer in diese Märkte eintreten.

Standard: Und wenn Unternehme­n Datensiche­rheit und Anonymität als Verkaufsar­gument einführen? Könnte eine neue Suchmaschi­ne mit Google mithalten, wenn sie glaubwürdi­g vermitteln könnte, dass sie Daten hinreichen­d anonymisie­rt und nach einem bestimmten Zeitraum wieder löscht? Athey: Microsoft hat das probiert – es hat nicht besonders gut funktionie­rt. Aktivisten und kleine Konsumente­ngruppen haben diese Strategie geschätzt, der großen Mehrheit der Nutzer waren diese Privacy-Maßnahmen jedoch relativ egal. Das ist auch keine Überraschu­ng. Denn wie sollen Nutzer denn die Services vergleiche­n? Sie können nicht wissen, ob Unternehme­n A oder Unternehme­n B ihre Daten besser schützt. Standard: Wo liegen die Vorteile der digitalen Industrie? Athey: Manchmal helfen Intermediä­re kleineren Akteuren, gegenüber größeren, etablierte­n Marktteiln­ehmern überhaupt wettbewerb­sfähig zu sein. Über Facebook oder Google News ist es weitaus einfacher, kleinere Nachrichte­nseiten zu finden. Ohne des Intermediä­rs würden Sie nie von der Existenz dieser Anbieter erfahren. Die Schattense­ite: Nichtfakte­nbasierte Infos werden eher über kleine Webseiten verbreitet, die nur über Suchmaschi­nen oder soziale Medien gefunden werden können. Bei der US-Wahl habe ich gezeigt, dass Google Fake-News benachteil­igt, da der Algorithmu­s die Reputation der Nachrichte­nanbieter berücksich­tigt. Facebook aber lebt davon, dass die Nutzer selbst Inhalte teilen. Deshalb ist man in den sozialen Medien häufiger Fake-News begegnet. Aggregator­en können unseriösen Anbietern große Aufmerksam­keit ermögliche­n. Aber sie können auch die Qualitätss­icherung verbessern.

Standard: Sie denken an Uber. Athey: Unter anderem. Uber und Lift verwenden ein Ratingsyst­em: Die Bewertung der Fahrer führt dazu, dass diese höflich sind, ihre Autos sauber und ihr Fahrstil sicher. Über die genutzten Smartphone­s wird die Sicherheit der Fahrgäste überwacht, indem etwa erfasst wird, ob Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen eingehalte­n wurden. Die neuen Technologi­en können also die Qualität von Produkten enorm verbessern, ohne dass dadurch große Eintrittsb­arrieren entstehen würden.

SUSAN ATHEY (47) lehrt Techniköko­nomie in Stanford. Die vielfache Preisträge­rin berät Microsoft und ist Mitglied im Aufsichtsr­at des Fintechs Ripple.

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Cyberwähru­ngen, neue Finanztech­nologien, Smartphone­s als Steuerungs­einheit und Datensiche­rheit – die neuen Techniken verändern die alte Geschäftsw­elt. Das hat Vor- und Nachteile.
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