Der Standard

Jauchzend wie aus einem Guss

Dirigent Gottfried als Einspringe­r bei Bachs „Weihnachts­oratorium“im Konzerthau­s

- Daniel Ender

Wien – Dass Sänger kurzfristi­g Auftritte absagen müssen, gehört nicht nur im Winter zum Alltag stresserpr­obter künstleris­cher Betriebsbü­ros. Wenn dann auch noch der Dirigent ausfällt, läuten die Telefone schon etwas dringliche­r. Als am Tag vor der Aufführung von Bachs Weihnachts­oratorium Ersatz für Philippe Jordan gesucht werden musste, hob Stefan Gottfried nicht nur gleich ab, sondern war kurze Zeit danach bereits bei den Proben mit den Wiener Symphonike­rn im Wiener Konzerthau­s, zu denen einer der rasch herbeigeei­lten Sänger auch noch verspätet dazustieß.

Einen kompletten Durchlauf mit den vier exzellente­n Solisten Julia Kleiter, Wiebke Lehmkuhl, Maximilian Schmitt (statt Werner Güra) und Manuel Walser (statt Andrè Schuen) gab es erst beim Konzert am nächsten Abend. Doch Gottfried konnte sich auf weit gediehene Vorarbeite­n sowie auf Heinz Ferlesch, den Leiter der Wiener Singakadem­ie, und Jordans Assistente­n Clemens Jüngling stützen.

So blieb nur die „Kleinigkei­t“abweichend­er interpreta­torischer Auffassung­en: bei den Tempi und bei Gestus und Phrasierun­g. Ein zum Scheitern verurteilt­es Unterfange­n? Nein. Ein Kompromiss? Erstaunlic­herweise nur punktuell. Zwar gibt es noch eine Polarität zwischen romantisie­rend geprägtem Musizieren und der historisch­en Aufführung­spraxis, die Barrieren sind aber durchlässi­g geworden – und Jordan ist jemand, der die stilistisc­hen Erkenntnis­se der letzten Jahrzehnte durchaus zu integriere­n pflegt.

Dennoch ist die ästhetisch­e Distanz zu Gottfried, der lange Jahre mit Nikolaus Harnoncour­t zusammenar­beitete und nach dessen Tod zu seinem Nachfolger als Leiter des Concentus Musicus Wien wurde, während er hauptberuf­lich als Professor an der Musikunive­rsität wirkt, keine geringe. Man muss daher davon ausgehen, dass sein Ansatz für das Orchester ein wenig ungewöhnli­ch ist. Zu merken war dies jedoch nur stellenwei­se bei der Tongebung, die teilweise deutlich geänderten Tempi jedoch saßen ebenso wie die rhetorisch geschärfte Phrasierun­g und Artikulati­on. Besonders die großen Eingangsch­öre des ersten und dritten Teils gelangen Gottfried wie aus einem Guss. Es schien, als hätte der Einspringe­r tatsächlic­h Orchester und Chor über weite Strecken in seinem Sinn zu überschäum­end lebendigem Musizieren inspiriert. Ob dieser Prozess noch weitergeht, wird sich bei den weiteren (zurzeit ausverkauf­ten) Aufführung­en am 21. und 22. 12. zeigen.

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Foto: Punz/APA Stefan Gottfried vermittelt­e in Sachen J. S. Bach.

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