Der Standard

Das Land neu denken

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Nein, nicht das Land Österreich ist gemeint, dem seine neue Regierung noch allerhand zu denken geben wird. Es geht um das Land im Gegensatz zur Stadt. Ein weltberühm­ter Architekt und eine Gruppe junger Planer haben sich in letzter Zeit auf das Bauen und Planen auf dem Land konzentrie­rt und mit der Parole „Die Zukunft liegt auf dem Land Aufmerksam­keit“erregt.

Der siebzigjäh­rige Niederländ­er Rem Koolhaas hat seinen internatio­nalen Ruf mit ambitionie­rten Großstadtb­auten wie dem riesigen Fernsehtur­m in Peking begründet und mit seinem Architektu­rklassiker Delirious New York ein Hohelied auf die amerikanis­che Supermetro­pole gesungen. Aber jetzt sieht er die Hochblüte der Metropolen und die Faszinatio­n der Architekte­n mit diesen zu Ende gehen. Sein Schlüssele­rlebnis: die Veränderun­gen in dem Schweizer Dorf, in dem er zeitweise lebt. Dort, schreibt er, wohnen nun viele Städter, die dank der Digitalisi­erung auf dem Lande ihren Berufen nachgehen. „Ich dachte immer, mein Nachbar sei Bauer“, schreibt er, „dabei ist er Topexperte in einem internatio­nalen Konzern.“Die Antwort der Architektu­r auf diese Entwicklun­g stünde noch D aus. ie jungen Planer, die vor kurzem in Berlin eine Ausstellun­g gestaltet haben, folgen einem anderen Ansatz. Alle streben in die Städte, wo es Arbeitsplä­tze, Bildung, Kultur und modernes Leben gibt, aber die Wohnungen nachgerade unbezahlba­r werden. Umgekehrt werden auf dem Land, wo bil- liger Wohnraum reichlich vorhanden ist, die Dörfer immer leerer. Eine Studie der Uno gibt ihnen recht. Während um 1900 nur jeder zehnte Mensch in einer Stadt lebte, werden es um 2050, wenn die Entwicklun­g so weitergeht, bereits zwei Drittel der Weltbevölk­erung sein. Das Motto der Berliner Ausstellun­g: das Land neu denken. Und ihre Forderung: urban U leben auf dem Land. nd wie steht es in Österreich? Eine Durchschni­ttswohnung in Wien, sagt die Statistik, kostet heute rund tausend Euro Miete im Monat. Mehr, als sich eine junge Durchschni­ttsfamilie leisten kann. In den Dörfern und Kleinstädt­en dagegen veröden die Zentren, der historisch­e Marktplatz ist nicht mehr der pulsierend­e Mittelpunk­t von Handel und Wandel. Man kauft online oder in den Gewerbepar­ks am Ortsrand, die wie hässliche Fremdkörpe­r in der Landschaft stehen. Man sieht sofort: Hier haben Geschäftsi­nteressen Regie geführt. Planer und Architekte­n spielten, wenn überhaupt, nur Nebenrolle­n.

Bahnt sich nun eine Wende an? Von heute auf morgen wird sich kaum etwas ändern, auch nicht am steigenden Auseinande­rdriften der Lebensform­en von Stadt und Land. Das Wahlverhal­ten bei den jüngsten Wahlen hat gezeigt, dass im ländlichen Raum Unzufriede­nheit, Ängste und das Gefühl, abgehängt zu sein, stärker werden. Aber es ist bemerkensw­ert, dass sich nun das Interesse der Architekte­n, lange Zeit auf die Städte fokussiert, dem Land zuwendet. Wenn die Besten, Innovativs­ten und Talentiert­esten das Bauen und Planen auf dem Land für sich entdecken, muss das Folgen haben. Und sicher keine schlechten.

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