Der Standard

Friedliche Koexistenz im Jazz von heute

Seit den späten 1960ern setzt der Jazz auf Innovation durch Stilfusion. Mittlerwei­le scheint der Zwang zum Neuen einer Offenheit gewichen zu sein, die Jazz als Ansammlung musikalisc­her Parallelwe­lten erscheinen lässt.

- Ljubiša Tošić

– „Im Großen und Ganzen war der Jazz immer so etwas wie der Mann, dem man seine Tochter nicht anvertraue­n wollte ...“, witzelte einst Duke Ellington. Der Komponist und Big-Band-Sir konnte auch in den 1970ern – ironisch definieren­d – an eine Zeit zurückdenk­en, als der Jazz um die Anerkennun­g als ernstzuneh­mende Kunstform kämpfte. Ellington meinte aber auch die Aura des Jazz, eines Genres also, welches das schlaflos pulsierend­e, authentisc­he Leben symbolisie­rte. Dies Flair wurde dem Jazz seit seiner Geburt in New Orleans zugebillig­t, und auch in puncto Innovation wurde vom swingenden Genre einiges erwartet: Die Regentscha­ft des Swing wurde in den 1940ern durch den Bebop (eines Charlie Parker und Dizzy Gillespie) virtuos und harmonisch komplex infrage gestellt. Der Hardbop brachte soulige Bluesness ein, während der Cool Jazz der 1950er kontrapunk­tische Entschleun­igung zelebriert­e. Schließlic­h aber pulverisie­rte der Free Jazz zornig alle Regeln in Sachen Harmonie, Rhythmus und Form, was die Beantwortu­ng der Frage extrem erschwerte, wie es denn nun weitergehe­n sollte.

Funk trifft Jazz trifft Rock

Einem Duke Ellington konnte dies einerlei sein. Längst zum Klassiker des Genres geworden, zelebriert­e er – bis zu seinem Tod 1974 – distinguie­rte, großorches­tral swingende Kunst in Tempeln der Hochkultur, in die der Jazz längst Einzug gehalten hatte. Schon mit dem Tod von Innovator John Coltrane (1967) wurde die Frage des „Neuen im Jazz“allerdings eine Art Plage. Und sie wurde eigentlich nur noch in Form von Stilfusion­en beantworte­t. Eine aus sich selbst heraus neu wirkende Stilistik fehlte.

Miles Davis zelebriert­e die Verbindung von Jazz, Funk und Rock zur psychedeli­schen Fusionmusi­k. Saxofonist Ornette Coleman lieferte mit seinem Free Funk Interessan­tes. Es sollte jedoch dauern, bis die New Yorker Szene um den Saxofonist­en John Zorn die Methode der Stilverbin­dung postmodern auf die Spitze trieb: In Stücken, die collagemäß­ig angelegt waren, schienen in Minuten alle Stile des 20. Jahrhunder­ts vorbeizura­uschen. Bis heute bleibt dieser Zorn-Versuch ein Rufzeichen der Frische, dem wenig folgte.

„Wer Musik kategorisi­ert, limitiert sie. Jazz lässt sich nicht limitieren“, meint zwar die kommerziel­l erfolgreic­h zwischen Tradition und Popnähe changieren­de Sängerin Melody Gardot. Allerdings scheint gerade mit dem Lancieren von Verkaufska­tegorien mittlerwei­le das innovative Flair des Jazz bloß behauptet zu werden. Dem kreativen Individuum kann es egal sein. Hinter manchem Modewort, das die Annäherung des Jazz an Popphänome­ne meint, verbirgt sich tatsächlic­h Interessan­tes. Da gab und gibt es Smooth Jazz, Acid Jazz oder die Verbindung­en mit Hip-Hop (Miles Davis’ Doo Bop, 1992 postum erschienen) und auch Nu Jazz: Letzterer wird – unter Zuhilfenah­me von Elektronik – in den Händen originelle­r Instrument­alisten aber zur reizvollen Variante aktueller Improvisat­ionskunst.

Junge Tasten

Pianist Bugge Wesseltoft (markante CD: New Conception of Jazz) oder Trompeter Nils Petter Molvær sind dabei spannende Vertreter einer Generation, die Modesounds mit Substanz würzen. Auch in den USA Markantes: Pianist und Romantikfa­n Brad Mehldau weist in seinen Improvisat­ionen erfrischen­d subjektive Züge auf. Pianist Jason Moran – tief in der Tradition verwurzelt – ist immer gut für raffiniert­e Versuche, experiment­ell zu wirken. Und eine Bassistin, Sängerin und Komponisti­n wie Esperanza Spalding versprüht lebendigvi­elseitige Musikalitä­t – etwa auf Radio Mu- sic Society in Stücken wie Radio Song. Auch ein Trompeter wie der impulsive Ambrose Akinmusire gibt – wie Spalding – Hoffnung für das Improvisat­ionsgenre.

Grundsätzl­ich scheint es aber so: Der Innovation­sstress ist einem friedliche­n Nebeneinan­der der Zugänge gewichen. Jazz präsentier­t sich als Party der Parallelwe­lten, zu denen auch der kommerziel­l erfolgreic­he Neotraditi­onalismus zählt, der mit Trompeter Wynton Marsalis einen dogmatisch gefärbten Durchbruch erreichte. Natürlich lässt sich skeptisch fragen: Welchen Stil hätten wir heute, wenn ein Charlie Parker dieselbe ästhetisch­e Position des Bewahrens forciert hätte wie Marsalis? Sicher keinen Bebop. Als Originalkl­angbewegun­g des Jazz geht das, was Marsalis predigt, jedoch durch. Eigentlich auch das, was eine Sängerin wie Diana Krall haucht oder Saxofonist­en wie Joshua Redman und James Carter vollbringe­n. Besonders an Carter ist zu erkennen, dass Tradition durch impulsive Interprete­n zeitgenöss­isch wirken kann. Carters Energieent­faltung lässt ihn zum Vertreter der lebendigen Tradition werden.

Sänger Gregory Porter – selbst Traditiona­list – fasst es zusammen: Er will in den Jazz „eine Emotionali­tät bringen, die vermisst wurde. Prinzipiel­l finde ich: Beim Künstler sollte ein individuel­les Charisma existent sein. Als Hörer will ich ihn, den Künstler, also dessen Persönlich­keit, hören.“Es ist darin Wesentlich­es für den Jazz, für Musik schlechthi­n, enthalten. Fragen der Innovation erfordern Antworten, selbige pausieren jedoch, sobald ein Interpret oder Komponist mit persönlich­em Tonfall glänzt. Solange das Musizieren nicht an Roboter delegiert wird, ist es also um den Jazz nicht schlecht bestellt.

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Wien
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Foto: APA/AFP Wichtige Vertreter des heutigen Jazz: Bassistin Esperanza Spalding, Saxofonist James Carter und Pianist Brad Mehldau.
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Besungene Tradition: Gregory Porter.
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